Geschichte des Glaubens – Geschichte des Geglaubten?

Die vier Bahnen der Zukunftsgeschichte des Glaubens: der Mensch die Zukunft Gottes – Gott die Zukunft des Menschen – Gott die Zukunft Gottes – der Mensch die Zukunft des Menschen*

Dann aber darf ich einen achten Schritt riskieren, der den zurückgelegten Weg expliziert. Am Ende dieses Weges tut sich mir eine vierfache Zukunftsgeschichte als die Bahn des Glaubens auf.

Die erste Bahn: Ich glaube, wenn ich glaube, daß der Mensch die Zukunft Gottes ist, daß ich die Zukunft Gottes bin und daß die Kommenden die Zukunft Gottes sind. Er hat sich eingelassen, er hat sich zugesagt, er hat – so sage ich christlich – den Menschen angenommen; er ist der Gottesknecht, der, wie es Johannes Paul II. immer wieder im Blick auf Gaudium et spes (22) sagt, gewissermaßen das Schicksal eines jeden Menschen angenommen hat. In einem Menschenleben hat er mit der Unabschließbarkeit allen menschlichen Lebens kommuniziert, so daß diese Geschichte des einen Gottesknechts die unabschließbare Geschichte des ewigen Gottesknechts „Menschheit“ wird und die glaubende Menschheit zum Vertreter aller Menschen, in deren Geschichte sich auf diese Weise Gottes Geschichte selber begibt. Der Mensch ist die Zukunft Gottes.

Die zweite Bahn: In diesem Sich-Zuwenden ist Gott die Zukunft des Menschen. Ich habe Zukunft nicht bloß in mir; ich bin der bloßen Zukunft, die ich selber machen könnte, entrissen; das Besiegen oder Beglücken des anderen ist nicht mehr das einzige; ich bin vielmehr hineingehalten in ihn als die Zukunft.

Die dritte Bahn: Darin aber steht Gott, sei es daß ich ihn als diesen Einen, sei es daß ich ihn trinitarisch und deswegen ja nicht weniger eins verstehe, auf beiden Seiten. Er hat keine einsame [237] Geschichte mit sich, sondern der Mensch ist und bleibt der Partner. Aber Gott wird in dieser Partnerschaft nicht aufgelöst in den Menschen, sowenig der Mensch in ihn aufgelöst wird. Gottes Zukunft ist und bleibt Gott, wo meine Zukunft Gott ist und ich die Zukunft Gottes bin. Gott ist die Zukunft Gottes. Das trinitarische Verständnis Gottes bedeutet gerade keine metaphysische Überhöhung des Subjekts, das sich nur umso radikaler selbst besäße, sondern ist jene – in diesem Sinn der Liebe verstandene – nie abschließbare Geschichtlichkeit Gottes als des Ewigen.

Die vierte Bahn: Sodann bleibt zuletzt – und nur so ist auch der Mensch gerettet und an sich freigegeben –, daß es eine ewige Geschichte des Menschen mit dem Menschen gibt, daß der Mensch die Zukunft des Menschen ist. Wenn Gott auf meiner Seite steht und mich auf seine Seite nimmt, hat der Mensch mit dem Menschen ewige Geschichte. Wir haben miteinander Geschichte. Christlich verstanden – und zugleich in dichter Nähe zu elementar Jüdischem – ist es mit der Trinität selbst erst dann gut, wenn wir eins sind wie der Vater und der Sohn, wenn wir aufeinanderzu aufbrechen und unabnehmbar füreinander Geschichte werden. Es ist dies die große Hoffnung der Menschheit, die keine Metaphysik auszudenken vermag und die keine Vision überholt, daß nicht nur die Kommenden die Zukunft der Gewesenen, sondern die Gewesenen die Zukunft der Kommenden sind. Es ist die große Hoffnung, daß wir einander in einem umfassenden Sinn Zukunft sein dürfen, wie Gott Gott Zukunft ist, daß dies letzte Geborgenheit ist, aber zugleich selige Gegenwart sein wird, gerade aber deswegen selige Gegenwart, weil nicht ein Wärmetod der erreichten Endgültigkeit, sondern der je neue Aufbruch zueinander, der unabschließbar ist, so unabschließbar und entzogen und geheimnisvoll wie eben Gott. Gott die Zukunft des Menschen, der Mensch die Zukunft Gottes, Gott die Zukunft Gottes, der Mensch die Zukunft des Menschen – in diesen Bahnen hat Glaube und haben der Glaubende und der Geglaubte ihre Geschichte.