Macht und Ohnmacht des Wortes
Die Zeugnissituation des Wortes
In unserem Wort wohnt eine merkwürdige Spannung. Wenn ich sage: „So ist das“, dann sage ich, daß es so ist. Ich stelle mich mit dem Gewicht meiner Persönlichkeit zu dem, was ich sage. Die Kopula „ist“ setzt immer ausdrücklich oder unausdrücklich ein Ja mit: „Ja, so ist es“ und ist damit eine Zustimmung meiner selbst, in der ich mich grundsätzlich als Bürge mit einbringe.
Aber kann ich nicht auch spielerisch, ja lügnerisch sprechen? Ich kann doch täuschend, ich kann tastend und probierend „ist“ sagen. Aber diese unterschiedlichen Weisen des Sagens werden davon bestimmt, wie das sprechende Ich seine grundsätzliche Haftung für das, was es sagt, und seine Identifikation mit dem, was es sagt, jeweils versteht oder vollbringt. Andere Weisen des Redens sind andere Weisen deswegen, weil das Ich je anders zu dem „ja, so ist es!“ steht. Immer setzt sich, von der immanenten Intention seines Redens her, das Ich mit dem in eins, wovon es sagt: „so ist es!“.
[94] Wenn ich sage „so ist es“, dann sage ich damit aber nicht nur: Ich sage, daß es so ist; ich sage auch: Es ist mehr als bloß mein Eindruck; es ist mehr als bloß mein Versuch, es zu sagen; es ist wirklich so! Und wenn ich es anders meine, dann muß ich dies sagen. Aber wenn ich ohne eine Erläuterung einfach sage: „so ist es“, dann entnehme ich das Gesagte, indem ich zugleich mich ganz dahinter stelle, der bloßen Beliebigkeit, Gleichgültigkeit oder bloß perspektivischen Gültigkeit, die es nur von mir aus hätte. Dieselbe Aussage identifiziert sich also mit zwei scheinbar entgegengesetzten Umständen oder Verhalten. „So ist es“, das heißt auf der einen Seite: „Ich stehe dafür ein, daß es so ist“, und heißt auf der anderen Seite: „Nicht nur ich meine, sondern es ist wahr, daß es so ist.“
Dies sind die beiden Intentionen des Istsagens. Die objektive Synthesis des „ja, so ist es“, bedeutet auf der einen Seite Leistung des Ich, das diese Synthesis vollbringt, und bedeutet auf der anderen gleich ursprünglich Herauslösung aus der bloßen vereinzelten Subjektivität. Ich möchte hier nicht auf die vielschichtige Problematik des transzendentalen Subjekts eingehen, sondern möchte das Phänomen in der Paradoxität stehen lassen, wie sie sich im alltäglichen Reden zeigt. Wenn ich sage: „so ist es“ und ein anderer widerstreitet mir, dann habe ich zwei Möglichkeiten, die aber miteinander koinzidieren. Ich ereifere mich, ich mache – wie wir im Deutschen sagen – mich stark dafür, daß es so ist, ich bringe mich mehr ein. Oder aber ich trete nüchtern, „objektiv“ den Beweis an. Mich mehr einbringen, das heißt und erfordert freilich im Grunde dasselbe: Ich mache mich stark, indem ich die Aussage stark mache, indem ich also die Faktoren der bloßen Subjektivität meinerseits auszuschalten suche.
Scharf formuliert: Ich, das bedeutet gerade nicht nur ich. Ich heißt hier: ich ganz und gar, ich mit aller Leidenschaft, ich mit allem Einsatz, ich bis zu dem Punkt, daß ich mich selbst dafür verbürgen muß. Aber gerade deswegen muß ich mich dafür verbürgen, weil es von der Sache gefordert ist, weil ich, wenn ich es nicht so sagte, einem Anspruch nicht genügte, weil eben – ich sage das nun einmal so – die Wahrheit mich dazu einfordert, mich für sie zur Verfügung zu stellen und für sie einzustehen.
Aus dieser inneren Spannung wächst der Rede sowohl ihr dynamisierendes wie ihr stabilisierendes Moment zu. Denn auf der einen Seite ist eben durch solchen Anspruch Rede nicht beliebig, und ich muß beim Gesagten bleiben, verharren. Ich muß bei einer Aussage bleiben: Stabilität, Gültigkeit, Unbeliebigkeit der Rede. Zugleich aber liegt darin das dynamisierende Moment; denn weil es nicht gleichgültig ist, wie ich rede, muß ich meine Rede je neu der Wirklichkeit anmessen, muß ich mich je neu in die Rede einbringen, muß ich die Sache je neu in die Rede einbringen. Unabdingbarkeit, nicht [95] bloße Relativität im Sinn von Beliebigkeit, und zugleich die Notwendigkeit, je mehr und je neu das Gesehene und Gemeinte zur Geltung zu bringen und so je neu anzusetzen im Reden, haben im Grunde dieselbe Wurzel; ich werde dadurch ins Spiel gebracht, daß ich nicht nur mich bei der Rede ins Spiel bringe, sondern in der Rede ins Spiel bringe, wie es ist.
Zugegeben, dies deckt nicht das ganze Redefeld in allen Phänomenen, in allen unterschiedlichen Weisen der Rede ab, sondern zunächst nur die Aussage. Es wäre interessant, auch die anderen Sprachmöglichkeiten durchzuspielen und in ihrer letzten Bezogenheit auf dasselbe durchsichtig zu machen. Hier genügt der Hinweis. Eines freilich wird so bereits deutlich: Zur Sprache gehört wesenhaft ein Moment, das sich bezeichnen läßt als Moment der Zeugenschaft und damit der Verherrlichung.
Ich sage, das heißt: ich verherrliche, ich bringe zur Geltung, zum Leuchten, wie es ist. Ich meistere nicht nur einen Tatbestand, bringe ihn unter in meinem Verstehen und Verfügen, so daß ich mit ihm umgehen, mit ihm operieren kann; vielmehr hat er mir gegenüber seine Hoheit, seine Unverfügbarkeit. Und nur wenn ich ihn in dieser Unverfügbarkeit lasse, kann ich mit ihm umgehen. Ich bringe ihn zur Geltung. Ich bezeuge, wie es ist. Dieses Bezeugen, das in der Rede aufgehen läßt, wie es ist, das sozusagen eintreffen läßt bei mir und beim anderen, wie es ist, gehört entscheidend zum Sprechen hinzu: Ich lasse ankommen, wie es ist, ich lasse weitergehen, wie es ist, ich lasse aufgehen, wie es ist, ich lasse in einem anderen sein, wie es ist.