Trinität – Die Suche nach dem Ursprung bei Klaus Hemmerle

Die Zukunft im schwarzen Loch

Ich möchte die Frage nach der Zukunft zuspitzen und vertiefen. Ist mit dem schwarzen Loch alles aus, die Zukunft ausgelöscht? Die Antwort von Klaus Hemmerle ist provozierend: Im schwarzen Loch beginnt die Zukunft.

Klaus Hemmerle hat im Laufe seines Lebens ein besonderes Verhältnis zum ‚Nichts‘ gewonnen. Gern zitierte er ein chinesisches Gedicht von Lao-Tse:

Lehm stemmt man aus zur Wohnung,  
doch dort, wo die Wohnung nicht ist,  
ist der Wohnung Sinn.

Ton formt man aus zum Becher,  
doch dort, wo der Becher nicht ist,  
ist des Bechers Sinn.

Drum merke: das Nichts macht alles aus.

Ihm ist angesichts des Kreuzestodes Jesu Christi die positive Bedeutung des Nichts aufgegangen.

Schauen wir zunächst einmal darauf, wie Klaus Hemmerle diesen Kreuzestod verstanden hat. In dem elementaren Ausruf ‚Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?‘ (Mt 27,46) kommt für ihn auf unüberbietbare Weise zum Ausdruck, was Jesus im Kreuz getan hat: „Er geht ganz nach unten, er geht in die größte Entfernung zu Gott, er geht in die Erfahrung der Ferne Gottes. (...) Wie immer ich das Evangelium im Einzelnen deute und verstehe, so erblicke ich doch eine fundamentale Linie, die hinein führt in diese Mitte, die der Schrei der Gottverlassenheit Jesu ist. Diese Linie möchte ich als das Evangeliumhafte des Evangeliums bezeichnen, als jenes ganz Typische, das das Evangelium gerade abhebt von anderen Weisen der Botschaft von Erlösung, Heil und Rettung, was den Jüngern von allem Anfang an fremd war und zu schaffen machte und von allem Anfang an zu einer Provokation wurde.“

Für Klaus Hemmerle war klar, dass die Botschaft vom Kreuz nie bequem ist und auf Widerstand bei den Menschen stößt, die sich unwillkürlich fragen, ob denn alles so negativ sein müsse und ob das Kreuz nicht ihre Aktivitäten lähme. Er hält diesen berechtigten Fragen entgegen: „Die Gottverlassenheit Jesu bis zum Letzten ist der Ernstfall Gottes. Es ist die innere Logik der Liebe, die Gott ist. (...) Jesus geht dorthin, wo Gott nicht ist und lässt die reine Abwesenheit durch die sie teilende Liebe zur höchsten Nähe Gottes werden.“

Für Klaus Hemmerle ist die Gottverlassenheit Jesu zum Ernstfall seines eigenen Glaubens geworden ist. Es ist ein ungeheuerlicher Gedanke, dass Klaus Hemmerle Abwesenheit und Nähe Gottes zusammen denken und selber in sein eigenes Glaubensleben übernehmen kann. Radikal gedacht heißt dieses, dass in einem solchen Denken ein erfahrener Atheismus gleichzeitig Platz hat und überwunden wird. Es lässt erahnen, dass Klaus Hemmerle das gefürchtete ‚schwarze Loch‘ mit dem Licht Gottes erfüllt sieht.

Klaus Hemmerle bringt das Kreuz Jesu in Verbindung mit einer neuen Seins-Lehre, die er ‚trinitarische Ontologie‘ nennt. Er entdeckt im Kreuz und in der Verlassenheit Jesu von seinem Vater eine merkwürdige Logik, die er so beschreibt:

‚Gott ist die Liebe;
Liebe ist Sich-Geben;
Sich-Geben heißt Verlieren und Nichts-Werden;
Nichts-Sein aber ist Ausdruck der Liebe, die Gott ist.‘
Es kommt zu einer neuen Fülle aus dem Nichts.

Für Klaus Hemmerle ist im Nichts und im Verlieren – Gott, die Fülle. Diese Fülle ist wiederum Sich-Geben und Sich-Verlieren ins Nichts: ein Kreislauf des Lebens, ein beständiges immer neues Zugehen auf Ostern, ein neuer Zugang zum Leben.

Klingt das nicht abstrakt und theoretisch? Für Klaus Hemmerle ist dieser ‚Kreislauf des Lebens‘ gegründet in seiner Begegnung mit dem gekreuzigten und verlassenen Christus. Diese ist für ihn so real, dass er in Ihm den unverwechselbaren Ort erkennt, an dem sich dreifaltiges Leben unserem Leben offenbart und öffnet. Wörtlich formuliert er: „Wir können anders auf die Abgründe in uns schauen, (...) die Ratlosigkeiten und Ausweglosigkeiten. Auch ich weiß manches Mal nicht, wie ich umgehen soll mit den schwierigen Dingen. (...) Im Grunde stehen wir alle oft genug an dieser Grenze. Aber wir dürfen dort stehen, denn Er steht dort.“

An dieser Stelle seines Denkens stellt Klaus Hemmerle neu die Frage nach der Zukunft, nach der Zukunft, die Gott ist.