Voraussetzung des Dienstes: dienende Gemeinde
Die Zukunft von Gemeinde
Natürlich kommt es darauf an, so viele Priester, Gemeindehelfer, Pastoralassistenten, Laientheologen, Diakone1 bereitzustellen, daß auch morgen der pastorale Dienst in unseren Gemeinden gesichert ist. Natürlich kommt es darauf an, klare Kompetenzverteilungen und ein geordnetes Zueinander und Miteinander der unterschiedlichen Dienste zu gewährleisten. Natürlich spielt dabei die Frage der Zugangswege, der realistisch zu stellenden Anforderungen, der Einheitlichkeit in unterschiedlichen Diözesen und der Offenheit für Experimente und neue Entwicklungen eine Rolle. Natürlich muß man jene, die morgen den pastoralen Dienst tun sollen, aus den Menschen von heute mit ihren Möglichkeiten, Chancen und Begrenzungen gewinnen. Und alles, was im folgenden gesagt wird, soll diese Fragen nicht herunterspielen. Und doch wäre es kurzschlüssig, sich auf diese Fragen allein zu beschränken, kurzschlüssig und zuwenig auf Zukunft hin orientiert. Denn es geht nicht nur um den pastoralen Dienst für die Gemeinde, sondern mindestens ebenso um den pastoralen Dienst der Gemeinde, es geht darum, daß Gemeinde dienende Gemeinde wird.
Da aber tun sich Fragen auf, die sozusagen den Untergrund freilegen, auf dem die heute offenkundige Krise des pastoralen Dienstes zu orten ist. Mit der – so zu abstrakt und formal, ja so geradezu falsch gefaßten – Alternative „Volkskirche oder Gemeindekirche?“ rühren wir wenigstens indirekt an die Grundlage, ohne die das Ganze einer noch so perfekten Strategie und Taktik der Planung pastoraler Dienste in der Luft hängt. Werden unsere Gemeinden, die heute existieren, auch noch morgen da sein? Werden sie weiter ausrinnen? Werden sie zusammenschrumpfen zu kleinen Gruppen von Entschiedenen? Oder darf man davon ausgehen, daß das vielgeschmähte Volkskirchentum, wenn auch verwandelt, die konstantinische Ära, deren Ende man gängig konstatiert, überleben wird? Gehört die Zukunft der sogenannten Entscheidungs- oder Gemeindekirche, einer eng begrenzten Sammlungsbewegung, oder gehört sie einer Kirche, die sich – eventuell mit gestuftem Angebot – dem anpaßt, was aller Voraussetzung nach auch morgen noch den Menschen zuzumuten ist?
Um es vorweg zu sagen: In keinem der beiden Glieder solcher Entscheidungsmodelle scheint mir die Zukunft liegen zu sollen und auch liegen zu können. Daß das [20] Christentum nicht darauf verzichten kann, Christentum für alle zu sein, daß es sein Maß aber nicht an dem nehmen darf, was alle gern akzeptieren und bejahen, daß – anders gewendet – Christentum die ganze Freiheit des Menschen herausfordert zu etwas, dem er aus eigener Kraft gar nicht gerecht werden kann, daß der Kern solcher Herausforderung aber im Sich-Verteilen, Sich-Hergeben für alle besteht, wie der Herr sich in der Eucharistie verteilt und in seinem Leben und Sterben insgesamt hergibt für die vielen: das ist bleibendes Grundgesetz für die Kirche, und das bedeutet eine Spannung, welche die Gestalt der Kirche je paradox, je gegenläufig, je „unbegreiflich“ sein läßt.
Eine solche Kirche – und diese Kirche erschöpft sich zwar nicht in der Gemeinde, lebt aber doch in ihr – wird, je schärfer der Wind der geschichtlichen Situation bläst, immer mehr unselbstverständliches Zeichen, aufs erste sogar unverständliches Zeichen sein; sie wird aber zugleich als Zeichen aus dem Interesse leben, allen das zunächst Unverständliche nahezubringen und verstehbar zu machen; und das hat Konsequenzen für ihre Gestalt. Sie wird Anforderung und faktische Gliedschaft nicht glatt zur Deckung bringen können. Sie wird davon leben, daß in ihr sich mehr ausdrückt und ansagt als das, wobei jedermann mitmachen kann, sie wird nichtsdestoweniger aber stets einen breiten und gewissermaßen fließenden Rand haben, will sagen: Menschen zu ihren Gliedern zählen, bei denen man sich fragt, ob diese Haltung, dieser Glaube, diese Praxis es noch rechtfertigen, sie in der Kirche zu halten. Auch diese Aussage muß nochmals korrigiert werden: genauer besehen, sind alle Christen „Randchristen“, ist die ganze Kirche „Randkirche“ – denn gemessen an dem, der ihre Mitte ist, wird jeder erkennen, daß er „am Rande“ ist, und gemessen daran, daß der Herr als die lebendige Mitte sich selber an den äußersten Rand gewagt hat, indem er die Sünder annahm und die Sünde auf sich nahm, wird sich keiner der „Vollidentifizierten“ dieses Gehen an den Rand ersparen können.
Doch was hat das mit dem pastoralen Dienst zu tun? Vielleicht eben dies, daß die Reihenfolge der Fragen, die zu stellen sind, sich umkehrt. Vielleicht eben dies, daß man vor die faktische Prognose, vor das äußere Kalkül die Frage nach der inneren Gestalt von Kirche und Gemeinde stellen muß, damit sich von hier aus jene Kontur des Dienstes der Gemeinden und des Dienstes an den Gemeinden ergibt, auf die dann das unerläßliche Kalkulieren und Planen Antwort zu geben hat.2
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(Anm. d. Bearb.) Die Aufzählung gibt Situation und Sprachgebrauch von 1975 wieder. Die Differenzierung zwischen Gemeinde- bzw. Pastoralassistenten/-assistentinnen und -referenten/referentinnen erfolgte später; der Beruf des Gemeindehelfers/der Gemeindehelferin ist in der Praxis kaum verwirklicht worden. – Vgl. Deutsche Bischofskonferenz: Zur Ordnung der pastoralen Dienste (Die deutschen Bischöfe 11), Bonn 1977, bes. 12–20 und 29-–43 [K. Hemmerle: Einführung in die Thematik]; Rahmenstatuten und -ordnungen für Diakone und Laien im pastoralen Dienst (Die deutschen Bischöfe 22), Bonn 1979. ↩︎
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(Anm. d. Bearb.) Anspielung auf die Diskussionen um Synodenvorlagen und spätere Synodenbeschlüsse „Die pastoralen Dienste in der Gemeinde“, „Verantwortung des ganzen Gottesvolkes für die Sendung der Kirche“ und „Rahmenordnung für die pastoralen Strukturen und für die Leitung und Verwaltung der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland“. Ansatz, Duktus und Zielsetzung der Ausführungen des Textes sind auf diesem Hintergrund zu verstehen. ↩︎