Merkmale der Kirche – Kennmale des Geistes

Dienst an der Ecclesia apostolica – Geist der Sendung

„Bei der Verfolgung, die wegen Stephanus entstanden war, kamen die Versprengten bis nach Phönizien, Zypern und Antiochia; doch verkündeten sie das Wort nur den Juden. Einige aber von ihnen, die aus Zypern und Zyrene stammten, verkündeten, als sie nach Antiochia kamen, auch den Griechen das Evangelium von Jesus, dem Herrn. Die Hand des Herrn war mit ihnen, und viele wurden gläubig und bekehrten sich zum Herrn“ (Apg 11,19–21). Dies ist eine Momentaufnahme aus jenem andauernden Übersetzungsprozeß, in dem die Sendung des Sohnes durch den Vater Weltgestalt annimmt, ja die ganze Welt, die Geschichte, die Völker einholt – und dieser Prozeß ist erst zu Ende, wenn die Geschichte selbst zu Ende ist. Hier handelt es sich um das erste Weitergehen über den Kreis der Juden hinaus in die Welt der Heiden. Nicht mehr um die Taufe eines einzelnen wie beim römischen Hauptmann Kornelius, sondern im eigentlichen Sinn: um Heidenmission. Die Versprengten, die damit wie zufällig begannen, als Reaktion auf die Not der Verfolgung, die sie vertrieb, waren übrigens keine Amtsträger. Kirche ist missionarisch, apostolisch oder sie ist nicht. Das ist ihr erstes Worumwillen, der Grund ihrer geschichtlichen Notwendigkeit. Der aller Menschen Last getragen und aller Menschen Heil gewirkt hat, er möchte die Menschen dort treffen, wo sie sind, dort rufen, wo sie leben – und deswegen dehnt er sich kraft seines Geistes über sich selbst hinaus in den geschichtlichen, geheimnisvollen Christus, der die Kirche ist. Sie ist als Ganze apo- [38] stolisch. Sie braucht die Verankerung im Ursprung, sie braucht die Identität mit den ersten Zeugen, sie braucht die Gründung auf das Fundament der Apostel. Aber apostolisch ist die Kirche eben nicht nur in der Rückbindung an ihren verbindlichen Ursprung, sondern zugleich in der Übersetzung nach vorne, in der unabschließbaren Bewegung des Hingehens, des Bezeugens, des Dienens, das sie wie Christus an alle Ränder dieser Welt hinausführt. Es bedarf dazu des besonderen apostolischen Dienstes, der sich fortsetzt in der sakramental vermittelten Nachfolge der Apostel; diese Sendung steht aber im Dienst an der apostolischen Sendung der gesamten Kirche, des gesamten Gottesvolkes. Kein Zweifel, pastoraler Dienst ist missionarischer Dienst, ist Vollzug des apostolischen Grundcharakters der Kirche. Wie schon angedeutet, bezeugt uns die Apostelgeschichte, wie durch die innere Logik des Geistes und sein Drängen, das sich selbst der Krisen, Verfolgungen und Rückschläge bedient, Christi Sendungsauftrag an seine Kirche Schritt um Schritt Gestalt gewinnt und Kirche so hinauswächst in die Welt. Das Mitspielen der Christen mit der Geschichte ist je eine apostolische, missionarische Chance, wie es uns der eingangs zitierte Text ja zeigt. Die Leidenschaft für das Evangelium, die Leidenschaft, daß es überall gehört und verstanden wird, ist ein Grundzug der Spiritualität pastoralen Dienstes. Wir finden indessen einen weiteren wichtigen Hinweis für diese Spiritualität in der Grundaussage des 1. Petrusbriefes. Die Situation der Bedrängnis als eine Chance des Zeugnisses, das ist der unmittelbare Hintergrund der Ermahnungen und Tröstungen dieser Schrift. In ihrer Situation wird etwas beson- [39] ders dringlich, was gerade auch uns angeht: Das missionarische Zeugnis ist besonders gefordert, wo wir in den Räumen einer nicht vom Christentum durchdrungenen und geprägten Gesellschaft leben. Es geht da nicht um Erstmissionierung, um Mission nach außen, sondern um Mission nach innen, will sagen in die Milieus hinein, in welchen der Glaubende Schulter an Schulter neben dem Unglaubenden lebt. Für solche Mission gibt der 1. Petrusbrief drei geistlich und pastoral bedeutsame Hinweise. Der erste: Sozusagen die Kopfleiste seiner praktischen Ermahnungen an uns, die als Gläubige „Fremde und Gäste“ in dieser Weltzeit sind, geht dahin, wir sollen „unter den Heiden ein rechtschaffenes Leben“ führen, damit sie durch unsere „guten Taten zur Einsicht kommen und Gott preisen am Tag der Heimsuchung“ (1 Petr 2,11f.). Das Entscheidende ist also das Zeugnis des Lebens, die Vorbereitung aufs Evangelium nicht durch das gesagte, sondern durch das gelebte Wort. Beinahe noch schärfer kehrt dies an einer späteren Stelle wieder, wo die Hoffnung ausgesprochen wird, die noch ungläubigen Männer mögen „durch das Leben ihrer Frauen ohne Worte gewonnen werden“ (1 Petr 3,1). Sei, was du sagst, lebe, bevor du redest – dies ist sicher Maßstab für allen pastoralen Dienst. Gerade aber dort, wo er von den Lebenssituationen der Menschen ausgeht, wird sein Weg mit Vorrang nicht der vom Wort zum Leben, sondern vom Leben zum Wort sein. Gerade auch die Befähigung ehrenamtlicher Dienste in der Pastoral geschieht vorzüglich in der Begleitung und Befähigung zu solchem Lebenszeugnis, als dessen Experte sich der beruflich im pastoralen Dienst Stehende erweisen muß. Der zweite Hinweis aus dem ersten Petrusbrief: Das [40] Wort ist nichtsdestoweniger unersetzlich auch in der Situation solcher Mission von innen. Der entscheidende Ansatz: „Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die euch erfüllt“ (1 Petr 3,15). Rechenschaft geben über unsere Hoffnung! Wiederum spitzt sich in der Situation des Laien im pastoralen Dienst das zu, was für diesen Dienst ganz allgemein gilt: Das Wort tut not, aber es muß geronnenes Leben, zum Argument und Dialog erhärtete Erfahrung, Zeugnis gewordene Hoffnung sein. Ein letzter, aufs Innerste zielender Hinweis: Es durchzieht den ersten Petrusbrief wie ein Leitmotiv, daß hier die Situation von Bedrängnis, äußerer Unterlegenheit und Leid durch das Beispiel des Herrn gedeutet wird, der für uns gelitten hat. Das apostolische Zeugnis ist nach diesem Brief die Gemeinschaft mit dem gekreuzigten Herrn, dem Apostolos schlechthin, dem vom Vater in unseren Abgrund hinein Geschickten und Gestoßenen, der uns in der äußersten Ferne einholt und zum Vater heimruft und heimträgt (vgl. die Ermahnung der Sklaven 1 Petr 2,18–25; den Abschnitt 3,13–18; 4,1; 4,12–19). Liegt der Schwerpunkt apostolischen Zeugnisses im „anders leben“, so heißt die Tiefe, der Radikalfall des „anders leben“: anders leiden. Wie gehe ich um mit den Schwierigkeiten und Kreuzen meines Lebens? Dies ist die Testfrage der Spiritualität pastoralen Dienstes, dies der Hintergrund für jegliches Zeugnis und die innere Befähigung zum delikatesten, aber auch wichtigsten apostolischen Tun: zum Begleiten anderer auf ihrem Kreuzweg, zum Deuten ihres oft stummen oder schreienden Warum durch den Blick auf das Kreuz des Herrn, recht verstanden: zum Raten und Trösten, was das Gegenteil ist von Vertrösten und resignativer Hinnahme.