Merkmale der Kirche – Kennmale des Geistes

Dienst an der Ecclesia sancta – Geist der Heiligkeit

„Angesichts des Erbarmens Gottes ermahne ich euch, meine Brüder, euch selbst als lebendiges und heiliges Opfer darzubringen, das Gott gefällt; das ist für euch der wahre und angemessene Gottesdienst. Gleicht euch nicht dieser Welt an, sondern wandelt euch und erneuert euer Denken, damit ihr prüfen und erkennen könnt, was der Wille Gottes ist: was ihm gefällt, was gut und vollkommen ist. Aufgrund der Gnade, die mir gegeben ist, sage ich einem jeden von euch: Strebt nicht über das hinaus, was euch zukommt, sondern strebt danach, besonnen zu sein, jeder nach dem Maß des Glaubens, das Gott ihm zugeteilt hat. Denn wie wir an dem einen Leib viele Glieder haben, aber nicht alle Glieder denselben Dienst leisten, so sind wir, die vielen, ein Leib in Christus, als einzelne aber sind wir Glieder, die zueinander gehören. Wir haben unterschiedliche Gaben, je nach der uns verliehenen Gnade. Hat einer die Gabe prophetischer Rede, dann rede er in Übereinstimmung mit dem Glauben; hat einer die Gabe des Dienens, dann diene er. Wer zum Lehren berufen ist, der lehre; wer zum Trösten und Ermahnen berufen ist, der tröste und ermahne. Wer gibt, gebe ohne Hintergedanken; wer Vorsteher ist, setze sich eifrig ein; wer Barmherzigkeit übt, der tue es freudig“ (Röm 12,1–8). [31] Liturgie ist nicht nur ein Höhepunkt, das Leben der Kirche, der Gemeinde, das Leben eines jeden Christen will selber die entscheidende Liturgie sein. So gelesen, ist der zitierte Abschnitt aus dem Römerbrief, der dessen dritten Hauptteil einleitet, ein aufregender Text. Bedenken wir den geistlichen Hintergrund: Jesus ist in die von Gott entfremdete und in ihre Selbstherrlichkeit, somit aber in ihren Tod hineingefallene Welt gekommen. Er macht sich eins mit den Menschen dort, wo sie sind, und so, wie sie sind. Er nimmt unser Leben in sich hinein und sagt von der Gottesferne aus, in die wir geraten sind, sein liebendes Ja zum Vater. Er schenkt sich dem Vater und schenkt in sich die Welt, die Menschheit dem Vater. Das ist seine priesterliche Tat, sein Opfer. Aussondern und in den Bereich Gottes hineingeben, das heißt: heiligen. Heilig heißt: Gott übereignet, in den Bereich Gottes hineingehalten, herausgenommen aus dem, was niederzieht und wegzieht von Gott. Wer sich glaubend losläßt in diese Hingabe Jesu an den Vater hinein, der ist selber heilig. Er steht in Gottes Bereich und bekommt die neue Chance, in diesem Bereich zu bleiben, heilig zu leben. Solche Heiligung und Heiligkeit sind nicht ein kultischer, sakraler Überbau über dem, was wir sonst noch sind, über unserer Identität in uns selbst. Nein, Heiligung und Heil hängen untrennbar miteinander zusammen. In Gottes Bereich leben heißt: in dem Bereich leben, in welchem der Mensch erst er selber ist, entrissen den Mächten der Zersetzung, des Verfalls, der Entfremdung. Selbstverwirklichung hängt in solcher Logik entscheidend an der Selbsthingabe. Schwerpunkt in sich hat nur, wer ihn verlagert in Gott. Identität haben wir nur in der Beziehung, in der Beziehung zu Gott, in letzter Tiefe: [32] in der Beziehung Gottes zu Gott, im Geist. Er ist Heiliger Geist. Der Heilige – und die Christen sind die Heiligen, die Geheiligten – ist erfüllt von diesem Geist. Dann aber ist Kirche der Transformationsprozeß der nur in sich selber stehenden Welt zu diesem neuen Stand in Gott hinein. Der Dienst der Kirche ist Heiligungsdienst. Und das haben nicht ein paar Leute für die anderen in der Kirche zu tun, sondern es ist Werk der Kirche als ganzer. Sie als ganze ist geheiligt und heiligend. Wir sind es einander schuldig, einander zu heiligen, einander bei diesem Weg in die neue Identität, in den Bereich Gottes, in die Heiligkeit hinein zu begleiten und zu helfen. Gott hat aus allen Völkern ein Volk herausgenommen, nicht nur im Interesse des eigenen Heiles der Berufenen, sondern damit vor der Welt die Großtaten Gottes verkündet, damit sie der Welt bekanntgemacht werden. Er will sich als heilig erweisen in einem Volk vor aller Welt und will die Menschheit hineinrufen in sein eigenes Leben; die Welt soll geheiligt werden durch das Zeugnis dieses Volkes. Dazu sind wir alle getauft und gefirmt (vgl. 1 Petr 2,9; Ex 19,5f.). Lesen wir auf diesem Hintergrund den zu Beginn zitierten Text des Römerbriefs. Der erste Teil (12,1–2) artikuliert die Voraussetzung: die Berufung aller zur Heiligkeit. Wir werden ermahnt, uns „selbst als lebendiges und heiliges Opfer darzubringen, das Gott gefällt“. Dies ist die Liturgie unseres Lebens, der „wahre und angemessene Gottesdienst“. Dies aber erfordert eine stets neue Umkehr, einen Ausstieg aus dem alten, weltkonformen Denken und die Erneuerung durch ein neues Denken. Nur im Vollzug solcher „Heiligung“ können wir „prüfen und erkennen“, „was der Wille Gottes ist“. [33] Darin aber ist ein neues Verhältnis zu uns selbst und zu unserer Berufung grundgelegt. Wir werden frei von einem bloßen Kompetenzdenken, von einem unguten Vergleichen unserer eigenen Aufgabe mit jener der anderen (vgl. 12,3). Und daraus erwächst die Bereitschaft, den je eigenen Dienst fürs Ganze so zu tun, daß hier nicht nur Funktionen aneinandergefügt werden, sondern daß der Geist Gottes im Zueinander und Miteinander der Funktionen durchschlägt: das Ganze wird aus der Vielzahl der Gaben des Geistes geistlich aufgebaut (12,4–8). Immer wieder wird in diesem Abschnitt, mitunter ausdrücklich, mitunter indirekt, das dem „neuen Denken“, das der „Heiligkeit“ entsprechende Wie des jeweiligen Dienstes angemahnt. Die Auferbauung des Leibes Christi, die Heiligung seiner Glieder, geschieht gerade dadurch, daß jener, der den jeweiligen Dienst tut, ihn „heilig“ tut. Das Leben aus dem Geist läßt in der jeweiligen Funktion die Gabe des Geistes sichtbar werden, bringt sie zum Strahlen. Dies gilt für den Laien genauso wie für den geweihten Amtsträger (es ist unter den verschiedenen Gaben hier auch vom Vorsteheramt die Rede). Es ist indessen gerade wichtig, daß nicht nur amtliche Tätigkeiten, sondern in ganzer Breite die Dienste, die Christen für Christen tun können, unter diesem Blickwinkel gesehen werden. Alles, was wir einem anderen tun, kann und will heilig getan werden, kann und will der Heiligung des anderen dienen. Sicher ist höchster Ausdruck dieses Heiligungsdienstes wiederum die Eucharistie, in welcher ein Stück Welt verwandelt wird in die Gabe Gottes an Gott und die Gabe Gottes an die Welt, die sein eigener Sohn ist. Doch was in der Eucharistie vollendet und ratifiziert wird, das möchte der Inhalt des ganzen Lebens und Wirkens der Christen sein. Aller pasto- [34] rale Dienst ist Heiligungsdienst, und das Stück Welt um mich herum heiligen, es zu seiner Erfüllung bringen, indem ich es Gott übereigne, dies ist vielleicht gar die Herzmitte dessen, was gerade dem Laien im pastoralen Dienst aufgetragen ist. Die anderen begleiten auf ihrem Weg des Glaubens, das heißt doch: sie begleiten bei dieser beständigen Verwandlung der oft bedrückenden Lebenserfahrung in die neue Lebenserfahrung des Erlöstseins, des Glaubens an die Liebe. Es gibt keine andere Spiritualität als jene des Geistes der Heiligkeit, auch und besonders im pastoralen Dienst.