Merkmale der Kirche – Kennmale des Geistes
Dienst an der Ecclesia una – Geist der Einheit
„Wenn es also Ermahnung in Christus gibt, Zuspruch aus Liebe, eine Gemeinschaft des Geistes, herzliche Zuneigung und Erbarmen, dann macht meine Freude dadurch vollkommen, daß ihr eines Sinnes seid, einander in Liebe verbunden, einmütig und einträchtig, daß ihr nichts aus Ehrgeiz und nichts aus Prahlerei tut. Sondern in Demut schätze einer den anderen höher ein als sich selbst. Jeder achte nicht nur auf das eigene Wohl, sondern auch auf das der anderen. Seid untereinander so gesinnt, wie es dem Leben in Christus Jesus entspricht...“ (Phil 2,1–5). Es gibt kaum eine leidenschaftlichere Ermahnung des Apostels als diese seine Einleitung zu dem uns allen wohlbekannten Christushymnus, den offenbar die Gemeinde bereits als ein Lied auf den Herrn kannte, der seine Gottgleichheit aus Gehorsam gegen den Vater aufgab, Knechtsgestalt annahm und sich entäußerte bis zum Tod, dann aber vom Vater über alle erhöht wurde (vgl. Phil 2,6–11). Aber ist das Wort Einleitung das richtige Wort? Stehen die Dinge nicht umgekehrt? Worauf es Paulus ankommt, das ist eindeutig die Einheit der Gemeinde. Und sie wird nicht herausgerechnet aus der Gleich- [27] heit aller, sondern sie entsteht, indem jeder einzelne in die Haltung Christi gegenüber dem Vater tritt, aber diese Haltung nun nicht nur gegenüber Christus und dem Vater lebt, sondern gegenüber dem anderen, dem Nächsten in der Gemeinde. Die Gabe des anderen mehr lieben als die eigene, das Wohl des anderen höher schätzen als das eigene, sich entäußern, damit der andere aufgehe, lebe, groß sei. Dies ist das im Paradox des Kreuzes begründete neue Lebensgesetz, wie Einheit wächst. Muß hier nicht auch die Spiritualität dessen einsetzen, der sich in den Dienst der Gemeinde stellt? Dieses Lebensgesetz ist verankert in Jesu Verhältnis zum Vater. Der Weg von diesem Stück des Philipperbriefs zum Gebet Jesu, das uns im Johannesevangelium überliefert ist, ist nicht weit: „Alle sollen eins sein: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaubt, daß du mich gesandt hast. Und ich habe ihnen die Herrlichkeit gegeben, die du mir gegeben hast; denn sie sollen eins sein, wie wir eins sind, ich in ihnen und du in mir. So sollen sie vollendet sein in der Einheit, damit die Welt erkennt, daß du mich gesandt hast und die Meinen ebenso geliebt hast wie mich“ (Joh 17,21–23). Wenn wir die apostolischen Ermahnungen zur Einheit insgesamt in Betracht ziehen (vgl. 1 Kor 1,10–17; 1 Kor 12–14; Eph 2,11–22; 4,1–16), dann entdecken wir: Es handelt sich hier offenbar um mehr als nur um eine praktische Beschwörung, sich nicht auseinanderdividieren zu lassen, im Sinne der Rede Einigkeit macht stark. Nein, das neue Leben, das Jesu Geist uns bringt, wird erst dann ganz ernst genommen, wenn die persönliche Umkehr des einzelnen – nicht mehr von mir her, sondern von Gottes Ruf und Liebe her leben– bis in die Konse- [28] quenz der Umkehr zueinander gelebt wird: nicht mehr von mir her auf dich zu, sondern von dir her auf mich zu leben. Das kann nicht anders sein, wenn eben in Jesus, in seinem Verhältnis zum Vater und in des Vaters Liebe zu ihm Gottes Reich unter uns anhebt, Gottes Lebensraum der unsere zu werden beginnt. Da gehen die Beziehungen einfach anders als dort, wo jeder sich nur gegen den anderen durchzusetzen oder an ihm vorbeizukommen versucht oder wo ein kollektives Super-Ich den einzelnen verschlingt. Im 18. Matthäuskapitel wird uns eindringlich vor Augen geführt, wie aus dem Vermächtnis und Geist Jesu Gemeinde aufgebaut werden will. Kleinsein vor Gott und voreinander, Gottes Vorliebe für die Kleinen teilen, einander vergeben, dies faßt sich zusammen in jenes symphonein, in jenem Einigsein, Übereinstimmen, das dich und mich zugleich in den Einklang mit Jesu bringt, so daß er in unserer Mitte sein kann: „Alles, was zwei von euch auf Erden gemeinsam erbitten, werden sie von meinem himmlischen Vater erhalten. Denn wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen“ (Mt 18,19f.). Da kommt etwas zu jener Verheißung des Herrn hinzu, daß er bei seiner Kirche bleiben werde alle Tage bis ans Ende (vgl. Mt 28,20). Diese letztgenannte Gegenwart ist nicht an Bedingungen von unserer Seite gebunden, Kirche ist über unser Versagen oder Entsprechen hinaus gehalten in der unaufkündbaren Nähe des Herrn durch diese Kirche hindurch bei der Welt. Es gibt aber eine lebendige Nähe des Herrn, die abhängig ist davon, daß wir zwischen uns seinem Leben mit dem Vater Raum geben. Daß der Herr dort zu sein vermag, wo wir uns auf ihn berufen und zusammen sind: darauf kommt es an, damit wir uns als [29] seine Jünger erweisen (vgl. Joh 13,34f.) und die Welt glauben kann (vgl. Joh 17,21.23). Kirche ist die eine, großräumig, aufs Ganze hin; sie muß das eine Heil Gottes, den einen Herrn, seine eine Liebe bezeugen. Aber sie will auch als die eine auferbaut werden überall, ganz kleinräumig, kleinzellig. Sie will Netz sein aus vielen Zellen, und in allen Zellen und zwischen allen Zellen soll der Herr lebendig in ihrer Mitte sein. Daß dies geschieht, daß Kirche von bloßer funktionaler und objektiver Organisation in gelebte Einheit hineinwachse, das ist Sache des pastoralen Dienstes. Jeder Getaufte und Gefirmte ist dazu geweiht, Diener der Gegenwart Jesu in der Mitte derer zu sein, mit denen er zusammenlebt und -wirkt. Sicher, solche Einheit findet vollendet Gestalt in der Eucharistie. In ihr vollbringt der Herr in sakramentaler Leibhaftigkeit unser Einssein in seinem Namen, er schenkt uns seinen Leib und macht uns zu seinem Leib. Diese eucharistische Integration der Einheit der Kirche braucht die Sendung und Vollmacht dessen, der im Sakrament der Weihe dazu bestellt ist, die schenkende Gebärde des sich hingebenden Herrn für die Kirche gegenwärtig zu halten, des Priesters. Aber was sagt und wirkt Eucharistie, wenn nicht zwischen uns jene Einheit gewachsen, jenes Umfeld bereitet ist, das die Eucharistie verankert in unserem Alltag? Und was Eucharistie als Anfang von Gott her setzt, das will wiederum eingelöst werden durch die Verwandlung des Lebens in immer mehr Gemeinschaft und Einheit aus Jesu Geist. Dienst an der Einheit, das ist gemeinsamer Dienst der geweihten Amtsträger und des ganzen Volkes Gottes und unter diesem Volk zumal jener, die sich ganz dem zur Verfügung stellen, daß Kirche Kirche sei – und das heißt: daß Kirche eins sei. Spiritualität des pastoralen Dienstes ist Spiritualität [30] der Einheit. Einheit bauen kann nur, wer Einheit lebt; andere hinführen, damit Christus in ihrer Mitte sei, kann nur jener, der mit seinen Nächsten, seinen Mitarbeitern den Herrn in der Mitte zu halten bereit ist. Jeden Tag ist ein Mitarbeiter in der Pastoral zum konkreten Dienst an der Einheit gerufen, jeden Tag ist für ihn auch persönlich dieser Schritt zur Einheit, diese Umkehr zur Einheit fällig.