Theologie als Nachfolge

Dilemma zwischen anthropologischem und theologischem Ansatz

Die prekäre Situation der Theologie zwischen der Anforderung, das Ursprüngliche, Unableitbare, Andersartige christlichen Glaubens zu vermitteln, und der anderen Anforderung, Theologie ihren Platz und ihre Rechtfertigung im Raum neuzeitlicher Wissenschaftlichkeit zu sichern, wirkt sich nicht zuletzt in der Diskussion um ihren Ansatz aus. Man verlangt, daß er anthropologisch, daß er Ansatz von unten sein müsse, und dies im Interesse beider genannten Anforderungen. Daß im Sinne neuzeitlich verstandener Wissenschaftlichkeit Theologie von unten ansetzen solle, scheint auf der Hand zu liegen: Ergebnisse müssen sich als objektiv bewähren, indem sie verifiziert und kontrolliert, im Kontext der Erfahrung ausgewiesen werden. Aber auch im Namen der Ursprünglichkeit und Andersartigkeit des Christlichen gilt der anthropologische Ansatz als der angemessene: An der Erfahrung des Menschen, an seinen Bedürfnissen, an seinem Hinsein auf Sinn und Erfüllung soll das Christliche als die das Menschliche integrierende Antwort sich bestätigen. Wie soll anders als im Blick [44] auf das, was der Mensch ist und worum es dem Menschen geht, der Anspruch der christlichen Botschaft, allezeit und auch heute gültige Heilsbotschaft zu sein, verstanden und beglaubigt werden können? Wie soll anders als in der Erhellung des Verstehens und Selbstverstehens des Menschen die Verstehbarkeit des Wortes gewonnen werden, das mehr als bloß menschliches Wort und doch Wort an den Menschen sein will? Zudem: wenn der Sprung des Wortes Gottes über sich hinaus in die Verstehens- und Lebenswelt des Menschen das Wesen und der Sinn von Offenbarung ist, dann wird doch nur der diesem Wesen und diesem Sinn gerecht, der das Wort Gottes dort sucht, wo es sich selbst zu finden gibt: im Horizont menschlicher Worte, menschlichen Lebens und Fragens. Das Gewicht solcher Argumente läßt sich nicht abtun; aber lassen sich die Gegenfragen abtun, die der postulierte Ansatz von unten, vom Menschen her doch aufreißt? Es läßt sich nicht übersehen, daß eine nur anthropologische Orientierung von Theologie zunehmend bereits wieder auf Unbehagen stößt. Denn wenn Theologie sich unter die Maxime beugt, nur das könne als christlich in Betracht kommen, was sich gemäß dem Ansatz neuzeitlicher Wissenschaft unter die Verfassung menschlicher Subjektivität subsumieren läßt, dann ist es um das Eigene der Theologie geschehen. Gott kann konsequenterweise dort gar nicht zum Vorschein kommen, wo methodisch ausdrücklich auf die Prämisse Gott verzichtet wird. Eine Theologie, die so von Gott handelt, als ob es Gott nicht gäbe, steht im puren Selbstwiderspruch. Und wenn, im Blick auf den Überschuß des Menschen über seine Machbarkeit, Gott bloß als die Erfüllung und Bedingung dieser Menschlichkeit erscheint, dann hat eine solche Theologie kaum die Chance, sich glaubhaft gegen Projektions- und Ideologieverdacht zu verteidigen. Die Alternative scheint klar zu sein: Ansatz von oben, theozentrischer Ansatz. Das Wort Gottes fängt bei dem Gott an, der es spricht. Und doch – wenn ein solcher Ansatz sich als Zauberformel verstände, um die Engführungen des anthropologischen Ansatzes zu sprengen, dann muß er auf Einwände stoßen, die ihn so fraglos und unvermittelt auch wieder nicht stehenlassen kön- [45] nen. Zum ersten wäre es sicherlich dem göttlichen Gott nicht gemäßer, ihn als Axiom, als verfügbaren Standort und Ausgangspunkt für die Deduktion des eigenen Denkens zu benützen, als ihn von unten, aus der Perspektive eines seiner bedürfenden und entbehrenden Geschöpfes, also aus der anthropologischen Perspektive her anzugehen. Gott als Operationsbasis, als archimedischer Punkt, das wäre eher noch eine Steigerung der Selbstherrlichkeit nur menschlichen Denkens. Zum anderen darf auch nicht übersehen werden, daß alles Denken und Sprechen, das von oben ansetzt, doch menschliches, vom Menschen vorgeformtes Denken und Sprechen bleibt. Sagte Gott sich nur in Worten und Zeichen aus, die es sonst schlechterdings nicht gibt, so sagte er sich nicht aus. Wo der Ansatz von Gott her die bleibende Perspektivität und Relativität des menschlichen Sprechens und Denkens, auch dessen, das Gott aussagt und in dem Gott sich aussagt, vergäße, da setzte unter der Hand der Mensch sein eigenes Denken und Sprechen absolut – auf Kosten des Gottes, um dessen Göttlichkeit es doch geht. Und schließlich ist die entscheidende Epiphanie Gottes für den Christen Jesus Christus; damit aber ist die Stätte des Aufgangs Gottes gerade der Mensch, Leben, Sterben und Verherrlichtwerden eines Menschen. Die Frage nach dem Ansatz der Theologie scheint also in ein Dilemma zu führen: Sowohl der nur anthropologische wie der nur theo-logische Ansatz laufen auf dasselbe, auf die Absolutsetzung des Menschen hinaus. Wie kann der Ansatz der Theologie so geschehen, daß darin Gott wahrhaft Gott und der Mensch wahrhaft Mensch ist? Dies ist die Frage, die wir wiederum in unser Gespräch mit Bonaventura einbringen wollen.