Volk Gottes auf dem Weg
Dogmen?
Noch ein Element muß bedacht werden, damit die Tradition recht verstanden sei. Bislang haben wir sie nur punktuell betrachtet. Tradition blickt aber nicht nur unmittelbar auf den Ursprung, sondern sie hat auch die Wegstrecke dazwischen mit im Auge. Wir empfangen das Wort aus dem Ursprung durch jene, die es uns gestern gesagt haben. Und wie Tradition dem Ursprung treu ist, indem sie sich zum Heute wendet, so muß sie auch in der Wendung zum Heute zugleich Treue zum Gestern sein. Wir leben in einer Gemeinschaft des Glaubens, der nicht egal sein kann, was gestern war; denn gestern war dasselbe Wort im selben Glauben, das heute im selben Glauben und darum gerade neu zu verkünden ist. Zur Tradition gehört es also auch, die gestern fällige Klärung der Fragen mit zu übernehmen, welche der Geist in der Kirche wirkte. Das Dogma, die Geschichte der Dogmen, die Kontinuität der Lehrverkündigung der Kirche, solches kann ebensowenig aufgegeben werden wie das Evangelium selbst. Immer wieder mußte das Wort des Ursprungs bewahrt werden vor Mißverständnissen, in dieser Situation kam es zur dogmatischen Fixierung, sie bezeichnet eine Wendung des Weges, auf dem wir weiterzugehen haben, ohne daß dieser Weg deshalb zu Ende wäre. Ein Dogma ist nicht zu widerrufen, der Weg der Väter ist unser Weg, denn es ist derselbe Geist, der sie geleitet hat und der uns heute leiten will. Nicht widerrufen und nicht vergessen werden kann das Dogma, und doch ist auch es nicht ausgenommen von der Übersetzung, von der Notwendigkeit, dem Fragen, Denken und Verstehen des heutigen Menschen ausgesetzt und in ihm neu artikuliert zu werden.