Propädeutische Überlegungen zur Glaubensvermittlung

Drei Geschichten*

  1. Es handelt sich zunächst um eine Begebenheit aus dem Alten Testament. Der Prophet Natan begegnet David, welcher Batseba, die Frau des Urija, so leidenschaftliche begehrt, daß er ihren Mann aus dem Weg räumen läßt. „Darum schickte der Herr den Natan zu David. Dieser ging zu David und sagt zu ihm: In einer Stadt lebten einst zwei Männer; der eine war reich, der andere arm. Der Reiche besaß sehr viele Schafe und Rinder, der Arme besaß aber nichts außer einem einzigen, kleinen Lamm, das er gekauft hatte. Er zog es auf, und es wurde bei ihm zusammen mit seinen Kindern groß. Es aß von seinem Stück Brot und trank aus seinem Becher, in seinem Schoß lag es und war für ihn wie eine Tochter. Da kam ein Besucher zu dem reichen Mann, und er brachte es nicht über sich, eines von seinen Schafen und Rindern zu nehmen, um es für den zuzubereiten, der zu ihm gekommen war. Darum nahm er dem Armen das Lamm weg und bereitete es für den Mann zu, der zu ihm gekommen war. – Da geriet David in heftigen Zorn über den Mann und sagte zu Natan: So wahr der Herr lebt: Der Mann, der das getan hat, verdient den Tod. Das Lamm soll er vierfach ersetzen, weil er das getan und kein Mitleid gehabt hat. Da sagte Natan zu David: Du selbst bist der Mann“ (2 Sam 12,1–7a; vgl. 12,7b–14).

  2. Die zweite Geschichte ist kurz. Die Männer und Frauen, an denen sich zu Pfingsten die Herabkunft des Heiligen Geistes ereignet hat, treten auf die Straße hinaus und reden in verschiedenen Sprachen. Die Umstehenden fragen sich verwundert, was geschehen sei. „Alle gerieten außer sich und waren ratlos. Die einen sagten zueinander: Was hat das zu bedeuten? Andere aber spotteten: Sie sind vom süßen Wein betrunken“ (Apg 2,12f.). Da tritt Petrus auf und hält seine berühmte Pfingstpredigt (2,14–36). Gleich anschließend, in Vers 37, wird dann berichtet: „Als sie das hörten, traf es sie mitten ins Herz, und sie sagten zu Petrus und den übrigen Aposteln: Was sollen wir tun, Brüder?“ (katenygesan ten kardian, wörtlich bedeutet dieser seltene Ausdruck: Sie wurden bezüglich ihres Herzens „gestochert“; manche Mundarten kennen das Wort „gestupft“.)

  3. Die dritte Geschichte, die zunächst etwas rührend anmuten mag, aber im Kontext unseres Themas sehr sprechend ist, handelt von der Gründerin der Ingenbohler Kreuzschwestern, Mutter Maria Theresia Scherer (geb. 1825 in Meggen bei Luzern, gest. 1888 in Ingenbohl). Diese Ordenschwester setzte sich besonders [104] für Strafgefangene ein. Sie ging oft in die Strafvollzugsanstalten, besuchte die Gefangenen und mitunter gelang es ihr, zu dem einen oder anderen eine persönliche Beziehung zu finden. Bei einem ihrer Besuche warnte eine Schwester sie vor einem bestimmten Strafgefangenen, er sei zu verschlossen, zuweilen auch gewalttätig; alles Mühen sei sinnlos. Schwester Maria Theresia wagte dennoch einen Besuch, fand aber zunächst die Aussagen ihrer Mitschwester bestätigt. Erst als sie den Gefangenen nach seiner Mutter fragte, löste sich seine Zunge, und er erzählte von seiner Kindheit. Nachdem er seine Mutter schon als Kleinkind verloren hatte, wuchs er mit seinen zahlreichen Geschwistern in schwierigen Verhältnissen auf, wurde früh von seiner Familie getrennt, geriet auf abschüssige Bahn und machte eine kriminelle Karriere. Durch genaues Erfragen der biographischen Einzelheiten wurde eine anfänglich dunkle Ahnung der Ordensschwester zur Gewißheit: Sie stand ihrem leiblichen Bruder gegenüber. In der Geschichte eines anderen war sie auf ihre eigene Geschichte getroffen.