Spiritualität – was heißt das?
Dreifacher Ansatz von Spiritualität
Nun ist uns das Wort „Spiritualitäten“ unterlaufen. Wie steht es mit der Einheit und Vielfalt von Spiritualität? Es ist wohl dienlich, einen dreifachen Ansatz im Sprechen von Spiritualität zu unterscheiden.
Nur eine Spiritualität
Der erste Ansatz: Es gibt nur eine einzige Spiritualität, weil es nur einen einzigen Geist gibt. Zeuge dieser Spiritualität ist Jesus; ihn finden in der Vielfalt der Zeugnisse von ihm, seinen Weg gehen, sich nicht auf Paulus, Apollos oder Kephas verlassen, sondern allein auf den einen Herrn und den einen Geist (vgl. 1 Kor 1): darauf kommt es an. Wer nach Spiritualität fragt, der fragt einfach danach: Wie geht nach dem Zeugnis von Jesus Christus, nach dem Zeugnis der Schriften und des Evangeliums in dieser oder jener Situation, unter diesem oder jenem Ruf das Leben von Nachfolge, das Leben aus dem Geist?
Und doch umfaßt diese Einheit des Geistes, diese Einheit des Evangeliums eine Vielgestalt von We¬gen.
Viele Wege des Geistes
Dies bringt uns auf einen zweiten Ansatz. Wer einmal mit einer Landschaft vertraut geworden ist, der entdeckt, daß sie eine und dieselbe ist und doch ein [18] vielfältiges Antlitz trägt, je nachdem von welchem Ausgangspunkt her, je nachdem auf welchem Weg ich sie durchwandere. Das Evangelium ist eine einzige Landschaft, und es kann – wir deuteten es bereits an – nicht darum gehen, nur nach Geschmack das eine oder andere aus ihm herauszupicken und das übrige unbeachtet liegenzulassen. Leben mit dem ganzen Evangelium – das gelingt indessen je nur auf einem bestimmten Weg. Und nun hat sich in der Geschichte eine Fülle von Wanderwegen durch die Landschaft des Evangeliums ergeben. Einzelne oder Gruppen wurden gerufen, sich radikal dem Evangelium auszuliefern – und dabei sind be¬stimmte Erfahrungen, Sichten, Lebensgestalten er¬wachsen, was das heißt: leben nach dem Evange¬lium, leben aus dem Geist. Es wäre müßig, die vie¬len geistlichen Wege aufzuzählen, die von den Wüstenvätern und bereits zuvor bis hin zu einem Char¬les de Foucauld, einem Kardinal Cardijn oder einer kleinen Therese sich herausgebildet haben. Verschiedene Spiritualitäten, das sind also Wege durchs ganze Evangelium unter dem Geleit einer prägen¬den geistlichen Erfahrung, im Kontakt und Dialog mit ihr. Eigentlich gibt es nichts Aufregenderes in der Geschichte der Kirche als diese Geschichte der Spiritualitäten, als ihre Fülle, als das Gespräch zwi¬schen ihnen. Nur bei sich selber bleiben und diese Schätze bewundern, dies nützt freilich wenig. Bei aller Offenheit, bei allem unbegrenzten Austausch ist es wichtig, den eigenen Weg zu suchen und zu gehen. Verbindlichkeit tut not. Nicht daß jeder ver¬pflichtet wäre, sich einer bestimmten spirituellen Li¬nie oder gar geistlichen Gemeinschaft anzuschlie¬ßen. Wohl aber gehört die Rechenschaft über den eigenen Weg zum christlichen Leben hinzu. Wo willst du mich haben? Wo bin ich Wegzeichen und [19] Wegspuren begegnet, die mir eine Richtung für mein Leben kennzeichnen können? Nasche ich nur nach Laune und Appetit einmal da oder dort, oder gerinnt aus meinen vielen Anläufen zum Christsein doch so etwas wie ein Weg?
Die Spiritualität des eigenen „Lebensortes“
Spiritualität – dies deutete sich bereits an – ist nicht einfach identisch mit „geistlicher Gemeinschaft“. Es gibt viele Verheiratete, die aus benediktinischem Geistesgut leben, es gibt Weltpriester, die eine Spiri¬tualität des Karmel trägt – die Beispiele ließen sich schier beliebig vermehren. Es ist ein Reichtum im Volk Gottes, daß es geistliche Verwandtschaften und Familien gibt, die über den unmittelbaren eige¬nen Lebensort hinausgreifen und so gerade ihn in eine größere Perspektive, in eine offenere Sicht hin¬einrücken.
Und doch gehört in ein Leben aus dem Geist dieser „eigene Lebensort“ hinein. So kann und darf auch und gerade dieser dritte Ansatzpunkt nicht vernach¬lässigt werden: der je eigene Lebensstand, der je ei¬gene Ruf und Beruf. Es ist gewiß keine Alternative, die Spiritualität der Ehe oder die eines Charles de Foucauld, die Spiritualität einer Gemeindereferentin oder die von Schönstatt zu leben. In den Weggestal¬ten und Weggemeinschaften unterschiedlicher Spiri¬tualität spielen jeweils auch die Daten und Fakten meines konkreten Lebensweges eine Rolle. Gleich¬viel welche geistliche Gestalt und welcher geistliche Weg mich anzieht: wenn ich ehelos oder verheiratet bin, so muß dies aus dem Geist Jesu gestaltet und bewältigt werden. Wo immer ich mich geistlich be¬heimatet fühle, wenn ich teilhabe am Dienst der Verkündigung oder am Aufbau der Gemeinde, dann sind Verkündigung und Gemeinde Realitäten, die in mein Leben aus dem Geist einbezogen wer¬den müssen. Man kann die Frage stellen, ob es gün- [20] stig ist, von einer Spiritualität des pastoralen Dien¬stes zu sprechen. Aber sicher ist es sinnvoll, ja not¬wendig, danach zu fragen, was der Auftrag, als Laie im pastoralen Dienst der Kirche zu stehen, für mein Leben aus dem Geist Jesu bedeutet, wie er mein Le¬ben aus diesem Geist bereichert, und wie, in der an¬deren Richtung gelesen, dieser mein Dienst und jene, denen er gilt, mich als geistlichen Menschen brauchen und fordern.
Einige theologische und praktische Perspektiven aufzureißen, Erfahrungen zu vermitteln und Anre¬gungen weiterzugeben, die hier weiterhelfen kön¬nen: dies ist der Sinn der folgenden Beiträge.