Philosophisch-Theologische Reflexionen zum Thema: „Unsere Verantwortung für die Welt von morgen“

Dreifacher Charakter der Zeit

Tasten wir uns nun an den Charakter dieser Zeit heran, in der es Heute, Gestern und Morgen gibt. Wir können sagen, Zeit sei [29] zunächst einmal zyklische Zeit, dann einsinnige Verlaufszeit und schließlich eine Zeit endloser Endlichkeit.

Was meine ich damit: Zeit ist zunächst zyklische Zeit? In der Zeit wiederholt sich viel und regeneriert sich viel. Regenerative Zeit. Wir verbrauchen etwas, aber es wächst anderes nach. Es gibt Abfall, aber aus dem Abfall wird in einem gewissen Sinn und Maß Rohstoff. Wir gestalten etwas, aber das Gestaltete verfällt und gibt daher Chance zu neuer Gestaltung. Werden und Vergehen und Vergehen als Bedingung neuen Werdens, diese Zyklik ist das Eine, was die Zeiterfahrung der Welt prägt. Auch wenn wir in die alten biblischen Zeugnisse schauen und sehen: daß die Sonne nicht stehenbleibt und daß die Nacht nicht immer bleibt, daß immer wieder alles neu wird und daß die Welt nicht unterbrochen wird, daß der Zyklus weiterrollt, ist sozusagen die elementare Sicherheit, aus welcher der Mensch lebt, und das, was ihm zunächst eine naturale Hoffnung gibt: Es wird schon weitergehen.

Aber: Weltzeit erschöpft sich nicht in dieser Zyklik. Die Jahreszahlen kehren nicht wieder, sondern sie werden fortlaufend gezählt. Jahreszahlen zusammenzählen wäre keine sinnvolle Operation. Wir werden aufmerksam auf Zeit als einsinnige Verlaufszeit. Was jetzt ist, ist nachher nicht mehr, was einmal ist, bleibt für immer, und indem es für immer bleibt, ist es zugleich für immer vergangen, nie mehr jetzt. Dies ist der andere Charakter von Zeit: Verlauf, einsinniger Verlauf, Unumkehrbarkeit – ist in dieser Unumkehrbarkeit aber nicht nur einfach abstrakt zu zählen, sondern Nicht-Wiederholbarkeit, Ausdruck auch dafür, daß die Gegebenheiten dieser Welt nicht beliebig vermehrbar und reduzierbar sind. Nicht alles, was ausgenutzt ist, wird wieder zum Rohstoff. Die No-Return-, die Wegwerf- und Nicht-mehr-Verwertungskultur ist erschütterndes Zeichen dessen. Das Erschrecken darüber – ob es nun dem Befund der Rohstoffquellen gerecht wird oder nicht – das Erschrecken darüber, daß unwiederbringliches Vergehen ein Grundcharakter der Welt ist, der nur überschattet war, nicht aber überwunden wurde vom Wachstum: dies ist das Stigma unserer gegenwärtigen Situation. Das Zyklische ist nicht alles, sondern im Zyklischen währt Verlauf, währt nicht nur Wachstum, sondern auch Verschleiß aufgrund begrenzter Gegebenheiten.

[30] Dies dramatisiert sich, wenn wir in einem dritten Schritt den Charakter der Zeit anschauen als in ihrer Projektion notwendigerweise endlos. Ich frage: Wie geht es weiter? Da Welt „alles“, das „Ganze“ begreift, stellt sich hier unausweichlich die Projektion einer nie endenden Welt ein, einer nie abreißenden Generationenkette, einer Menschheit in Jahrmillionen und Jahrmilliarden. Aber dieses Endlose steht in der ungeheuren Spannung zur Endlichkeit und Begrenztheit des Je-nur-Jetzt, des Nicht-Wissens, wie es weitergeht und ob es weitergeht, und des Wissens um begrenzte Ressourcen.