Pilgerndes Gottesvolk – geeintes Gottesvolk
Dreifaltige Einheit – Weggesetz der Kirche*
Es ist ein altes theologisches Axiom, daß im Handeln nach außen die drei Personen der Trinität je gemeinsam wirken, wobei sich freilich die einzelnen Personen je als sich selbst, in ihrem Proprium, einbringen, was Grund für die Sinnhaftigkeit von Appropriationen, von Zueignungen einzelner göttlicher Wirkungen an je eine Person, ist. Dies wird nun ausgedrückt, indem am Ende von „Lumen gentium“ 4 der den heiligen Cyprian zitierende Satz [353] steht: „So erscheint die ganze Kirche als ‚das von der Einheit des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes her geeinte Volk’.“1 Dieser Satz hat freilich einen Überschuß der Aussage über das bisher Gesehene hinaus. Das Verbundensein jeder Person in der Trinität mit den anderen ist nämlich hier nicht nur als eine allgemeine und äußere Prämisse für das von Gott gewirkte Einssein – und wie sich zeigen wird, auch für das Unterwegssein – der Kirche im Blick; vielmehr wird gerade dieses Miteinander der Wirksamkeit der göttlichen Personen und ihr Grund, ihr absolutes Einssein, als prägender, spezifischer Grund für die Kirche und ihre Einheit statuiert. Einheit der Kirche hat also, für sie konstitutiv, mit dem Einssein Gottes in drei Personen zu tun.
Diese aus dem Text selbst resultierende Aussage erhält ihre besondere Brisanz, wenn sie zurückgelesen wird auf den Kontext unseres Wortes. Es stammt aus Cyprians „De Oratione Dominica XXIII“2. Der Fundort der so bedeutenden Kirchendefinition ist also nicht eine dogmatische oder spekulative Abhandlung, sondern eine Auslegung des Vaterunser, genauer der Vaterunser-Bitte, die uns die Vergebung der Schuld erfleht und zugleich das einzig „aktive“ Element des Beters im ganzen Vaterunser enthält: „Wie auch wir vergeben unsern Schuldigern“. Cyprian verknüpft diesen Halbsatz des Vaterunser mit dem anderen Wort der Bergpredigt, das uns ermahnt, die Opfergabe am Altar zu lassen, um uns zuerst mit dem Bruder zu versöhnen (vgl. Mt 5,24). Die Begründung, weshalb der Weg zum Opfer, der Weg vor Gottes Angesicht also, nur „geht“, wenn er den Weg der Versöhnung [354] einschließt und voraussetzt, sieht Cyprian nun in der Eigenschaft der Kirche, die sie auf das Innerste und Eigenste Gottes selbst zurückbezieht: Sie ist das aus der Einheit des Vaters und des Sohnes und des Geistes geeinte Volk. Damit aber wird die Verankerung der Kirche in der dreifaltigen Einheit Gottes zum inneren Weggesetz der Kirche selbst. Sie ist Weg ihrer Glieder und Weg der Menschheit zu Gott in ihrem vollen Wesensmaß nur, wenn sie auch Weg ihrer Glieder zueinander und miteinander ist. Die Einheit der Kirche vollzieht sich im Weg zu Gott und zueinander, im Weg mit Gott und miteinander, und diese „beiden“ Wege sind ebenso nur ein einziger Weg, wie auch die göttliche Tugend der Liebe nur sie selber ist, indem sie eins und unteilbar Gottes- und Nächstenliebe ist. Der Einheits- und der Wegcharakter von Kirche hängen innerlich miteinander zusammen. Wenn dem entgegengehalten wird, im Ausdruck „pilgerndes Gottesvolk“ stehe doch mehr die eschatologische Dimension im Vordergrund, so nimmt dies vom Festgestellten nichts hinweg; das eschatologische Wegziel ist nämlich die Einheit von Einheit mit Gott und Einheit miteinander. Die Aussagen der ersten vier Artikel von „Lumen gentium“ unterstreichen dies.