Person und Gemeinschaft – eine philosophische und theologische Erwägung

Dritter Schritt: Fragwürdigkeit des Zusammenhanges von Person und Gemeinschaft im klassischen Personbegriff

Der initiierende und bis heute durchtragende Versuch, Person begrifflich zu fassen, stammt von Boethius: „Persona est naturae rationalis individua substantia“.1 An dieser Stelle unseres Gedankenweges geht es uns nicht um die Auslegung der Formel, sondern um den Hinweis darauf, daß diese anfängliche und dann leitend gebliebene Prägung des Personbegriffs auf das Selbstsein und nicht auf das Mitsein zielt. Der Personbegriff ist in seiner Anlage also nicht auf Gemeinschaft hin gelesen, sondern gerade auf den Stand in sich, das Sich-Schließen in sich selbst. Dies wird in der weiterführenden Ausarbeitung des Personbegriffs in der Scholastik eher noch verschärft, wenn Thomas von Aquin Person etwa2 als „incommunicabilis subsistentia“ bezeichnet. Das steht, konsequent weitergedacht, freilich nicht im Gegensatz zu der im zweiten Schritt gezeichneten theologischen Intention, aus welcher der Personbegriff heraus entfaltet wird. Denn nur der Stand in sich, nur die Unterscheidung vom anderen läßt Gemeinschaft zu, konstituiert Partnerschaft in ihr. Die Kommunikation mit dem anderen wird nur dadurch gewährleistet, daß der Kommunizierende sich nicht in den Partner hinein auflöst. Kommunikation und in und mit ihr Gemeinschaft „brauchen“ die Eigenständigkeit und Unterscheidung gegenüber dem Partner, sie brauchen aber auch die Unterschiedenheit dieses Partners in sich von dem, was diesem mitgeteilt, worin mit diesem kommuniziert wird: Unterscheidung von Person und Person, Unterscheidung von Person und Wesen.

[36] Eine Verschärfung der Inkommunikabilität von Person und der Betonung von Substanz bzw. Subsistenz in sich scheint auf im Satz des Thomas: „Excluditur a persona ratio assumptibilis“.3 Eine Person kann nicht als Person von einer anderen „angenommen“ werden, so wie die Natur des Menschseins von der Person des Sohnes angenommen worden ist. In aller Kommunikation bleibt Person in sich selbst bestehen. Hiermit ist eindeutig ausgedrückt, daß Person nicht ein kommunikables Gut ist, das ontisch der andere werden kann. Freilich klingt gerade in dem Ton, der auf dem „assumere“ liegt, im Annehmen und In-sich-Nehmen also, zugleich mit, daß solches Stehen in sich und Sich-Unterscheiden der Ort ist, in dem das, was des anderen ist, auch mein zu werden vermag. Die Person ist zwar das, was ihr Wesen ist; sie ist das Da und Daß der Geistnatur. Aber sie ist nicht Geistnatur, sondern eben ihr Dasein. Und dieses Dasein, das sich nicht in seine eigene Natur hinein auflöst, sondern zu ihr verhält, indem es sich über sich hinaus verhält, kann der Ansatzpunkt sein, um in einem nächsten Schritt die Formel des Boethius und ein auf sie gründendes Denken im Blick auf Gemeinschaft neu zu lesen. Die Problematik eines Denkens bloß von der Substanz her für das Verständnis von Person sei nicht geleugnet, aber es gilt, zuerst und zunächst in die innere Tiefe dieses Substanzdenkens einzudringen.

Dies gilt auch für die vielleicht schärfste Formulierung, die uns die mittelalterliche Philosophie im Nachdenken über die Person beschert. Bonaventura spricht in Blick auf Personalität von einer „privatio communitatis“, bemerkt aber hierzu: „Privatio illa in persona magis est positio quam privatio.“4 Für Bonaventura bedeutet solche positive „privatio“ den Ausschluß einer Reduktion von Person auf Allgemeinwesen, aber so gerade die Öffnung in eine durch Beziehung ausgezeichnete Fülle der Einheit.5


  1. Boethius, Contra Eutychen et Nestorium, c. 3. ↩︎

  2. Thomas von Aquin, 1 Sent. 30. ↩︎

  3. Thomas von Aquin, S.th.I., q29, a.1, ad2. ↩︎

  4. Bonaventura, 1 Sent. d.25, a2, q.1 concl. (I, 443). ↩︎

  5. Bonaventura, collationes in Hexaemeron, XI, 8 und seine Überlegungen zur Einheit als indivisio. ↩︎