Der Himmel ist zwischen uns
Ehe und Familie
Der Herr zwischen uns ist Ziel und Maß für jede Gemeinschaft unter Christen. Also auch für christliche Ehe und Familie.
Zunächst könnte man denken, christliche Ehe und Familie hießen einfach das Du großschreiben und das Ich kleinschreiben. Doch diese Selbstlosigkeit gerät nur zu leicht in Engführungen: Ich vergötze dich, ich nehme dich gefangen in deinen Wünschen und in meinem beständigen Besorgtsein nur um dich. Die Erfahrung ist nicht selten, dass Kinder oder Ehepartner schier erdrückt werden von solcher Zuwendung, dass die glückliche Ehe und die intakte Familie in der Konzentration auf sich allein zugrunde gehen. Wo Jesus in die [85] Mitte einer Familie tritt, wird dieser Zirkel gesprengt. Die Liebe wird freier und offener und doch keineswegs weniger intensiv. Denn wem ginge es mehr um uns als dem, der sich für uns hingegeben hat? Wenn wir um seine ständige Gegenwart unter uns besorgt sind, dann kann keiner in der Familie von meiner Zuwendung ausgeschlossen bleiben, dann gibt es keinen Grund, mich verbittert auf mich zurückzuziehen, statt zu vergeben und neu den ersten Schritt zu tun, dann kann eigentlich kein Abend ohne die gegenseitige Vergebung zu Ende gehen, dann ist mir nie etwas zuviel für dich, für euch, und ich halte es auch nie für aussichtslos, doch noch auf dich, auf einen von uns zu warten.
Jesus in unserer Mitte ist aber nicht nur die Kraft, um aufeinander zuzugehen, wir gehen auch miteinander auf ihn zu. Still und selbstverständlich, indem wir uns bei allem fragen, was sein Wille ist. Aber auch ausdrücklich im gehorsamen Hören auf sein Wort, im Gespräch über unseren Glauben, im gemeinsamen Gebet. Solches ist nicht Pflichtübung, nicht Zusatz, sondern Fest, das ans Licht hebt, was den Alltag prägt.
Er in der Mitte interessiert sich für uns, er interessiert sich aber auch für alle. Wer auf ihn schaut, der schaut mit ihm durchs Fenster, der trägt seine Sorge für die anderen, für die Welt mit. Wo Ehepartner sich so suchen, dass sie nicht nur einander suchen, da fallen die Gemeinschaft miteinander und die Offenheit fürs Kind ineins. Wo der Herr der Zukunft zugegen ist, da schwindet die ängstliche Sorge um die Zukunft, da wächst der Mut, auch anderen Zukunft, Leben zu schenken. Aber unsere Sorge gilt nicht nur der eigenen Familie, sondern auch dem Nächsten, der bei uns ein offenes Haus, eine Gemeinschaft findet, die ihn birgt und auffängt. Der Abend für den Helferkreis der Pfarrei, das Wochenende für [86] die Jugendgruppe, die Sitzung im Stadtrat sind nicht geduldetes Hobby des einzelnen, sie werden mitgetragen von der Familie.
Nun, so glatt läuft das in den wenigsten Fällen. Nicht nur deshalb, weil man keineswegs damit rechnen kann, dass jeder in der Familie mitmacht. Jesus in der Mitte, das ist mehr als bloß eine Überhöhung eigentlich selbstverständlicher Familienideale. Der Ansatz bei ihm ist nicht der Ansatz beim natürlichen Streben des Menschen nach Selbstergänzung und Selbstverwirklichung, nach Bergung und Gemeinschaft. Ehe und Familie sind vielmehr Berufung: Weil Du es willst! Ich soll lieben wie er, dienen wie er. Nur so kann letztlich ein Anspruchsdenken fallen, das auf seine eigenen Kosten kommen will und dazu den anderen braucht.
Ich bin da für dich, aber nicht nur dafür, dass du dich wohlfühlst und glücklich bist, sondern dafür, dass Gott mit dir machen kann, was er will. Sagen wir es ruhig so altmodisch: dass du heilig wirst und ich mit dir. Eine Gängelei, eine Überforderung, eine Tyrannei des anderen für meine Ideale? Nichts widerspräche mehr dem Mühen um Jesus in unserer Mitte als eine noch so sublime Gewalttätigkeit. Die Bereitschaft des anderen, die Antwort des anderen lässt sich nie erzwingen. Es gibt für mich nur einen Weg: die unenttäuschbare, je neu anfangende Liebe. Alles andere – und freilich auch dieses – muss der Herr selbst tun.
Wer das weiß, wird den anderen freigeben. Er wird Familie nicht absolut setzen. Wenn der Ehepartner oder eines der Kinder einen Schritt auf Gott zu tun will, den ich glaube nicht mittun zu können, will ich nicht um der Familie willen das blockieren. Wenn ich selber vor Gott etwas für richtig halte, will ich Ehepartner und Kinder nicht dazu drängen, meinen Schritt mitzutun. Treue, Gemeinschaft miteinander [87] schließt den je neuen Abschied voneinander mit ein und wächst gerade in solchem Abschiednehmen zu jener Einheit, in deren Mitte er wohnt.
Wiederum begegnet uns also dieselbe Logik: Ostern kommt aus dem Kreuz, der Herr in unserer Mitte hat unsere Entscheidung für den gekreuzigten und verlassenen Herrn zur Voraussetzung. Dann aber braucht keiner zu denken: Jesus in der Mitte ist nichts für mich; denn bei mir stimmt es nicht in Ehe und Familie. Wenn der Gatte oder wenn Kinder nicht „mitmachen“ in Richtung auf ein Leben mit Jesus zwischen uns, dann ist gerade kein Grund gegeben, sich resigniert auf ein bürgerliches Maß zurückzuziehen. Mehr Liebe in aller Unaufdringlichkeit und Diskretion, der Durchstoß durch das Kreuz in die um so behutsamere Aufmerksamkeit für den anderen sind Weg auf Jesus in der Mitte zu. Nicht wir können ihn herbeizwingen, aber er kann kommen.
Wenn Ehe Sakrament, wenn sie Gemeinschaft mit dem gekreuzigten und auferstandenen Herrn ist, wenn sie gar jenes Sakrament ist, das Jesus in unserer Mitte zum direkten Ziel hat, dann wird die Heiligkeit auch der zerbrochenen Ehe verständlich. Vielleicht erscheint es töricht, den Partner zurückzuerwarten, der sich inzwischen anders gebunden hat. Aber es ist nicht töricht, für ihn das Kreuz weiterzutragen, damit doch für ihn – so letztlich auch für mich – Ostern wird. Sicher, nicht ich habe die Kraft für dieses Kreuz, aber die Gnade des Sakraments wird mir durch die Untreue des anderen nicht entzogen – sowenig mein Versagen Verpflichtung und Kraft des Sakramentes auszulöschen vermag. Allerdings sind die Alleingelassenen ganz besonders anderen christlichen Familien und unseren Gemeinden anheimgegeben, damit sie die stärkende Erfahrung Jesu zwischen uns machen können.
[88] Je weniger das Evangelium in unserer Gesellschaft gilt, je weiter sich die allgemeinen Lebensgewohnheiten von ihm entfernen, desto größer wird die Zahl jener, die in einer kirchlich nicht gültigen Ehe leben. Oft stehen tragische Verwicklungen, oft Entscheidungen im Hintergrund, die im nachhinein bedauert werden, ohne jedoch rückgängig gemacht werden zu können. Wer dürfte übersehen, wie viele von diesem Geschick betroffen sind, denen ihr Glaube beileibe nicht gleichgültig ist. Der Hunger nach der Hilfe der Sakramente, die Sensibilität für das, was Sakrament heißt, ist nicht selten bei Menschen in dieser Situation besonders groß. Natürlich auch die Versuchung, bitter zu werden gegenüber der Kirche, die aus Treue zum Willen Jesu glaubt, nicht durch Zulassung zur Beichte und zur Eucharistie Abhilfe schaffen zu können. Die Gründe dafür zu erörtern, führte hier zu weit.
Eines aber wird sich dem öffnen können, der seine eigene Not im Blick auf den Herrn annimmt, auf den Herrn, der uns durch seinen Tod am Kreuz erlöst hat und so in seine Herrlichkeit und zugleich in unsere Mitte tritt: der Weg auf Jesus in der Mitte zu. Der erste und wichtigste Schritt für ihn wird sein, aus dem Ja zum gekreuzigten Herrn die Bedingungen zu schaffen, um das Leben mit Jesus in der Mitte vorzubereiten. Das macht eine kirchlich ungültige Ehe nicht zum Sakrament, das gibt auch nicht ein Anrecht, zu den Sakramenten der Buße und Eucharistie über die Ordnung der Kirche hinweg hinzuzutreten. Aber es ist lebendige Verbindung mit dem lebendigen Herrn und seiner Kirche. Jesus in der Mitte wird auch ihm Quelle des Lichtes und der Kraft sein, so dass er Schritte vermag, die er aus sich selber nie sähe oder vermöchte. Diese Schritte können ihn befähigen, auf die Sakramente zu verzichten und im Verzicht dem Herrn schritt- [89] weise näher zu kommen. Diese Schritte können ihn auch dorthin führen, wo die Zulassung zu den Sakramenten wieder möglich ist.