Das problematische Verhältnis von Philosophie und Theologie
Ein paar praktische Folgerungen
So grundsätzlich und abstrakt derlei Überlegungen vielleicht klingen, sie haben in der konkreten Situation zwischen Theologie und Philosophie einschneidende, handfeste Konsequenzen.
a)Theologie ohne Philosophie ist keine Theologie. Entweder reflektiert Theologie ihre philosophischen Implikationen oder aber sie unterliegt ihnen, ohne sie zu durchschauen. Nur im Zugleich von Freigabe der Philosophie an sich selbst und Einbeziehung der Philosophie in ihr Eigenes, in ihr Theologiesein, entspricht die Theologie dem Anspruch des Wortes Gottes, das sich in menschliches Sagen und Fragen hineinwagt und es mit übernimmt.
[240] b) Theologie darf sich nicht ihre bequeme Philosophie herrichten, die zu ihr paßt, sondern muß Philosophie an sich selber freigeben, ihre Autonomie achten. Denn eine abgeschlossene, fertige, nicht mehr weiterentwickelbare, bloß patentierte und versiegelte Philosophie wäre nicht jene, die dem Gang des Wortes Gottes in die Geschichte und durch die Geschichte entspricht. Annehmen der Partnerschaft, Annehmen des Wandels in der Philosophie gehört zum theologischen Selbstvollzug der Theologie.
c) Das bedeutet aber gerade keine Neutralität der Theologie gegenüber den Gestalten von Philosophie. Wären alle Philosophien der Theologie gleich gültig, dann wären diese Gestalten in sich gleichgültig – und dies wäre eine Degradierung der Philosophie. Theologie ist daran gewiesen, hartnäckig von ihrem eigenen Ursprung her Philosophien zu befragen und herauszufordern, damit sie in ihrem Gespräch mit der Theologie sich selber finden, messen und einbringen.
d) Theologie muß freilich ebenso jedem Versuch widerstreiten, philosophisch vereinnahmt zu werden. Nur wenn die Theologie unbestechlich an ihrem eigenen und anderen Ursprung, an der unerstellbaren und unaufhebbaren Positivität des aus eigener Hoheit sich eröffnenden Anspruchs und Zuspruchs Gottes festhält, nur wenn sie also nicht in Philosophie aufgeht, geht sie nicht in ihr unter. Und nur wenn sie nicht in ihr untergeht, hat sie auch eine Funktion für die Philosophie.
e) So unabgeschlossen die Geschichte der Theologie und somit ihres Gesprächs mit der Philosophie und den Philosophen ist, sowenig darf Theologie doch davon absehen, daß Offenbarung konkret, in einer bestimmten Gestalt, ergangen ist und in einer bestimmten Gestalt von Tradition sich theologisch reflektiert und ausgebildet hat. Die philosophischen Optionen, welche die Theologie auf ihrem Gang durch die Geistesgeschichte traf und die ihre Gestalt auch heute noch prägen, sind nicht beliebig. Patristik und Scholastik lassen sich nicht „ausschälen“ aus der Theologie – so sehr ihre Tradition nur im Reflektieren, Übersetzen und Weiterdenken gewahrt werden kann. Offenheit, Unabgeschlossenheit und Übernahme der eigenen Tradition sowie Reflexion der Gründe für diese Gestalt von Tradition gehören in den Vollzug der Theologie hinein.
f) Dann aber ist auch für die Theologie als „Fach“ – der universitas litterarum, als gelehrte und zu lernende, eindeutig klar: Wer Theologie studiert, ohne Philosophie zu studieren, der studiert keine Theologie. Und wer bloß Scholastik studiert und sich nicht fragt, was sich zuvor und hernach und bis heute getan hat, der studiert wiederum nicht jene Philosophie, die zur Theologie gehört – wie freilich auch jener, der Patristik und Scholastik als eine bloße Episode abtut und ignoriert, nicht Philosophie und nicht Theologie studiert, da nun einmal ihr Gedankengut und ihre Denkform zu beiden, zur Geschichte und Substanz beider, wesentlich hinzugehören.
[241] g) Somit aber haben Philosophie und Theologie füreinander gegenseitig heute eine wesenhafte Funktion. Philosophie muß die Theologie aus aller Verengung auf sich selbst, aus allem Getto der bloßen Pragmatik, der bloßen Positivität, herausreißen und zu sich selber bringen, indem sie hart und bohrend ihre Fragen an die Theologie stellt und die Unstruktur einer unphilosophischen Theologie aufweist. Umgekehrt hat aber auch Theologie die Chance und Aufgabe, eine Philosophie, die sich vor dem Philosophischen, die sich vor der Frage nach dem Ganzen zurückzieht, zu sich selbst herauszufordern. Und wenn einmal Theologie in der ihr gegenwärtigen Philosophie keinen Partner mehr fände oder sofern sie diese Partnerschaft vermißt, ist sie gehalten, aus ihrem eigenen, theologischen Impuls Philosophie wach- und hervorzurufen.
Geht in solcher gegenseitigen Anerkennung, Verwiesenheit und Herausforderung also doch alles glatt auf? Keineswegs. Es bleibt die Grenze, es bleibt der Schmerz, daß Theologie und Philosophie ihrer gegenseitig nie sicher sein können, daß nie die eine den Part der anderen einfachhin übernehmen und leisten kann, daß die unterschiedlichen Perspektiven einander nicht selbstverständlich integrieren. Es steht in der Geschichte so immer ein Kreuz zwischen Philosophie und Theologie: das Kreuz der je eigenen Unvollendbarkeit, das Kreuz der Verwiesenheit auf den anders gearteten Partner, das Kreuz, nicht im Eigenen das Ganze der Wahrheit aus sich selbst erreichen und vollenden zu können.
Aber ist solches Kreuz nicht gerade – es sei erlaubt, nun theologisch, nur theologisch zu sprechen – das Zeichen der Herrschaft Gottes? Will sagen: Was der Mensch, was auch Philosophie und Theologie als Menschenwerk nicht vermögen, vermag Gott allein. Er wird es tun. Die alles einbegreifende, versöhnende und vollendende Auferweckung steht noch aus. Aus solcher Hoffnung und aus solchem Kreuz zugleich aber will der Geist aufbrechen, der Geist, der im Kreuz der Endlichkeit und in der je ausstehenden Vollendung das eine enthüllt und zu dem einen befähigt: Liebe. Liebe, die Partnerschaft, Liebe, die Mut heißt, aufeinanderzuzugehen, sich je neu zu suchen, sich je neu herauszufordern, sich je neu in die Krisis und in den Selbstgewinn und Neubeginn zu rufen. Und so darf die Reflexion über das Verhältnis von Philosophie und Theologie aus der Perspektive der Theologie damit enden, daß die Theologie ihre Liebeserklärung an die Philosophie und ihre Liebeswerbung um die Philosophie formuliert.