Christus nachgehen

Ein Weg in vielen Wegen

Der Wegcharakter des Glaubens läßt sich nicht nur in einer Richtung lesen, sondern in all den Schichten und Dimensionen, die zum Glauben gehören, begegnet uns immer neu dieses Motiv, dieser Rhythmus: Glaube als Weg.

a) Hermeneutische Erschließung des Glaubens als Weg. – Setzen wir sozusagen von außen an. Wir wollen aufzeigen, daß Glaube, Christus, Kirche für die Jugend ein Weg sind, um sich selbst zu finden und mehr als nur sich zu finden. Es soll dabei aufgehen, daß Glaube von sich her, Christus von sich her, Kirche von sich her den Charakter des Weges haben, von sich her also das sind, worum es der Jugend geht.

Wie kann das gezeigt werden? Nur indem dieses Zeigen selbst einen Weg zurücklegt. Weg verbindet ein Woher und Wohin, einen Anfang und ein Ende. Und deswegen kann, wenigstens im Grundsatz und Ansatz, der Weg in zwei Richtungen begangen werden: vom Anfang zum Ende und vom Ende zum Anfang.

Dies heißt für unsere Frage: Die hermeneutische Vermittlung zwischen der Situation der Jugend und der christlichen Botschaft muß einen doppelten Ansatz haben. Sie muß einmal ausgehen von der Situation der Jugend, um aus ihr zur Mitte der Botschaft [37] durchzustoßen. Und umgekehrt muß der Weg bei der Botschaft des Glaubens ansetzen, um aus ihrer Mitte her zur Situation der Jugend vorzustoßen und sie als eine für die Botschaft offene, der Botschaft bedürftige Situation zu erschließen.

Solches Unterfangen kann freilich nur gelingen, wenn beim Ausgang vom einen Pol jeweils der andere schon im Blick ist. Eine Jugendpastoral nur von der Situation oder nur von der Botschaft her wäre also verkürzt. Der Ausgang muß zugleich auf beiden Seiten liegen. Am Ende einer solchen hermeneutischen Bemühung müßte es – dies ist eine idealtypische Forderung, die nie voll eingeholt werden kann – herausspringen: Die jungen Leute von heute sind genau jene, die das Evangelium „meint“, als Adressaten vor sich hat. Und umgekehrt: das Evangelium ist jene Antwort, die in aller Befremdlichkeit und allem Überschuß doch genau die Situation der jungen Leute trifft.

Daß dies letztlich gilt, ist eine Überzeugung des Glaubens – wenn anders wir eben glauben, daß derjenige, der den Menschen geschaffen und ihn so geliebt hat, wie er ist, sich selbst ihm ganz und gar in Jesus Christus eröffnet und mitgeteilt hat.

Diese Perspektive ist in der Tat die Erzählperspektive der Evangelien; ihre Erzähleinheiten wurden ja so entworfen und gingen zumal so in die Liturgie ein, daß in der Geschichte von damals die Geschichte des [38] Gläubigen von je heute anschaubar wurde. Solche glaubende Überzeugung vom Einklang zwischen Situation und Evangelium darf eines freilich nicht: sie darf diesen Zusammenhang nicht konstruieren, sondern muß ihn je neu sich schenken lassen – und so müssen auch die offenen Fragen unverstellt stehen bleiben.

b) Glaube als Weg zwischen Gnade und Freiheit, göttlicher Botschaft und menschlichem Selbstverständnis. – Glaube kann nie vom Menschen gemacht werden, Botschaft nie aus menschlichem Selbstverständnis konstruiert werden. Grund des Glaubens sind nicht die menschlichen Glaubwürdigkeitsgründe, sondern die Autorität des sich offenbarenden Gottes – Kraft des Glaubens ist nie das Licht der bloßen menschlichen Vernunft und die Gutheit des sich entscheidenden menschlichen Willens, sondern das Glaubenslicht und die Gnade, die unsere Freiheit bewegt. So steht in der Weggeschichte des Glaubens nicht nur Gott auf der einen Seite, als der Anbietende, Anrufende, und der Mensch auf der anderen Seite, als der Annehmende, sich Entscheidende. Auch auf der Seite meiner eigenen Freiheit und meines eigenen Einsehens stehen Gottes Gnade und Gottes Licht. Umgekehrt stehen freilich auch auf der Seite der mir angebotenen Botschaft nicht nur Anspruch [39] und Angebot Gottes, sondern auch das menschliche Wort, in dem sich Gottes Wort allein verfaßt und in dem es sich mir bezeugt, mich anführt. Der Weg des Glaubens ist ein Weg von Gott zum Menschen – aber dieser Weg läuft zugleich von Gott zu Gott, von der Gabe Gottes, die mir sein Wort anbietet, zu jener Gabe, die es mir erschließt und mich befähigt, es anzunehmen. Und zugleich läuft dieser Weg von Mensch zu Mensch, vom menschlichen Zeugnis zu meiner sich dem Wort Gottes öffnenden Freiheit.

Was hat dieser – vielleicht formal erscheinende – Hinweis mit dem Glauben der Jugend heute zu tun? Zumindest ein Dreifaches. Einmal weist er hin auf den Grund der Hoffnung in aller Schwierigkeit, Glauben zu erschließen und zu bezeugen: nicht das Werk des Menschen, sondern allein Gott kann den Glauben wirken. Zum andern weist er hin auf das Gewicht der Verantwortung: in unserem menschlichen Zeugnis ereignet sich Gottes Geschichte mit dem Menschen. Und schließlich kann dieser Hinweis helfen, die Angst vor dem Glauben beim jungen Menschen zu überwinden. Die Frage des jungen Menschen, ob er es schaffen und leisten könne, den Anspruch des Glaubens einzulösen, wird im Glauben durch den Glauben selbst überholt; der Glaubende darf sich darauf verlassen, daß in ihm ein anderer das mitträgt, ja allererst ermöglicht, was er aus sich allein nie vermöchte. Glaube ist die verschenkte Ohnmacht [40] zu glauben, der Weg des Glaubens geht im Schritt über den Schatten der eigenen Angst, nicht glauben zu können: „Herr, ich glaube, hilf meinem Unglauben!“ (Mk 9,24).

c) Glaubensgehalt als Weg Gottes zu uns. – Offenbarung geschieht, indem Gott in einem menschlichen Wort sich uns zusagt, sich hineinsagt in unser Hören und unsere Geschichte. Offenbarung geschieht zuhöchst, indem Gottes Wort Fleisch wird, unter uns wohnt und sich uns verschenkt. Dieses Wie, dieser Weg der Offenbarung ist zugleich sein Gehalt. Gott ist so, daß er sich selber mitteilt, daß er uns bis zum äußersten, bis zur Hingabe seines Sohnes liebt, daß er sich selbst uns nicht vorenthält, sondern mitteilt: das ist der Inhalt seiner Botschaft. Von dieser Mitte her läßt sich das Ganze der Botschaft aufschlüsseln. Auch jenes, was scheinbar am Rande liegt oder was vordergründig gerade nicht von Gottes Liebe und Nähe, sondern davon spricht, daß es schrecklich ist, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen (vgl. Hebr 10,31). Liebe, die unsere Freiheit ernst nimmt, Liebe als das herausfordernde Angebot, das den in unaufhebbaren Widerspruch zu sich selber bringt, der, zur Liebe geschaffen, sie nicht annimmt – dies gehört zur Botschaft der Liebe hinzu.

Alles in der Botschaft ist Weg der Liebe, die Gott ist: so kann der junge Mensch zu jener Transparenz [41] und Einheit der Botschaft hinfinden, die ihm oft vordergründig nicht erreichbar ist. Und daß der Weg, auf dem die Botschaft ergeht, nichts anderes ist als der Inhalt dieser Botschaft, dies ist Zeichen jenes totalen Einsatzes Gottes, in dem Gott selbst ein bloß statisches, fremdes unzugängliches Bild seiner selbst überholt. Die Dynamik des Gottes, der sich auf den Weg zu uns macht, der selbst Weg zu uns „ist“, entspricht der Dynamik und Radikalität zumal des jungen Menschen.