Bonaventura und der Ansatz theologischen Denkens

Einführung: Die Frage nach dem Ansatz von Theologie

[89] Die Theologie hat heute Kummer mit ihrem Ansatz. Zwar ist es gang und gäbe zu betonen, daß dieser anthropologisch sein müsse; und dies hat einen guten Anlaß. In einer Welt, deren Erfahrungsräume immer dichter besetzt sind von dem, was der Mensch messend, bewerkstelligend, analysierend und konstruierend entwirft, erscheint als „wirklich“ allein das, was sich in den Ansatz vom Menschen her vermittelt; und [90] wenn in einer solchen Welt, die nur mehr die Extrapolation des Menschen zu werden sich anschickt, der Mensch sich selber unheimlich wird, ihm sein Menschsein entgeht, so fragt er allenfalls über sich hinaus, um eben das zu entdecken, was ihn zu sich bringt, was ihn wieder in seine Identität einholt. Aber ein – so oder so gewandter – anthropologischer Ansatz hat doch seine Bedenklichkeiten, und er stößt zunehmend bereits wieder auf Unbehagen. Denn wenn er sich unter die Maxime beugt, daß nur das als wirklich in Anschlag kommen könne, was sich unter die Verfassung der Subjektivität des Menschen subsumieren läßt, dann droht es um das Eigene der Theologie geschehen zu sein, es kann konsequenterweise gar nicht mehr zum Vorschein kommen. Zugespitzt gesagt: eine Theologie, die unter der Prämisse neuzeitlicher Wissenschaft steht, die Dinge zu betrachten, wie sie sind, auch wenn es Gott nicht gäbe,1 eine Theologie, die also von Gott handelt, als ob es Gott nicht gäbe, steht im puren Selbstwiderspruch; und wenn, im Namen des Überschusses des Menschen über seine Machbarkeit, Gott bloß als die Erfüllung und Bedingung dieser Menschlichkeit in Sicht tritt, dann hat eine derartige Theologie es wahrlich schwer, sich gegen Projektions- und Ideologieverdacht zu verteidigen.

Aber wie ist es denn dann mit einem Ansatz von oben, mit einem theozentrischen Ansatz? Gewiß ist er nötig, aber wenn er sich als Zauberformel verstände, um die Engführungen des anthropologischen Ansatzes zu sprengen, dann müßte er doch auf drei Einwände stoßen, die ihn so fraglos und unvermittelt auch wieder nicht stehenlassen können. Einmal wäre es sicherlich nicht dem göttlichen Gott gemäßer, ihn als Axiom, als verfügbaren Standort und Ausgangspunkt für die Deduktion des eigenen Denkens zu benützen, als ihn von unten, aus der Perspektive des seiner bedürfenden und entbehrenden Geschöpfes her, ihn aus der anthropologischen Perspektive her anzugehen. Die Operationsbasis Gott, der archimedische Punkt Gott, das wäre eher eine Verstärkung der Selbstherrlichkeit und somit der Isolation nur-menschlichen Denkens. Zum anderen wäre es peinlich, die menschliche Vorgeformtheit und Eingebundenheit allen Sprechens und Denkens zu vergessen, das „von oben“ ansetzt; wo der Ansatz von Gott her nur die Perspektivitäten und Relativitäten der endlichen Verfassung jeglicher menschlicher Aussage und Denkbemühung dogmatisieren und immunisieren wollte, ginge, wiederum im Vorzeichen der Wahrung des unverfügbar Göttlichen, dieses in einer heimlichen Absolutsetzung des Menschlichen unter. Und schließlich darf zumindest christlicher Ansatz von Gott her ja nicht vergessen, daß das Wort „nahe in Mund und Herz“ (vgl. Röm 10,8) zu suchen ist, daß Gott selbst sich nicht in seiner himmlischen Entzogenheit, sondern in seiner Zuneigung und Nähe zum Menschen, in seinem Ansatz zum Menschen hin hat finden lassen wollen.

In diesem Dilemma kann uns ein Gedanke, genauer gesagt eine Denkstruktur weiterhelfen, die scheinbar für heutige Diskussionen wenig beizutragen hat, weil sie weit abliegt von dem, was dem Denken seit Beginn der Neuzeit mehr und mehr als selbst- [91] verständliche Voraussetzung gilt. Wir blicken über solche Barrieren hinweg möglichst unmittelbar auf Bonaventura, und hierbei ist uns gerade das interessant, was seinen „eigentlichen“, „inhaltlichen“ Ausführungen vorausgeht und oft nur wie eine fromme und begleitende Figur, wie ein Rankenwerk auf uns wirkt, das subjektive Gläubigkeit und Frömmigkeit um die objektive Gedankenarbeit spinnen.


  1. Vgl. Grotius, Hugo: De Iure Belli ac Pacis Libri tres, Vorrede 11. Neuer deutscher Text und Einleitung von Walter Schätzel (Die Klassiker des Völkerrechts 1), Tübingen 1950, 33. ↩︎