In welchen Fragen sollen Kirche und Christen öffentlich sprechen?
Einholung in eine allgemeine Phänomenologie des Menschlichen
So eng die vorhergehende Analyse angelehnt ist an die theologische Grundbestimmung „Bund“, so wenig beschränken sich die gezeichneten Momente und ihr Verhältnis zueinander auf eine binnentheologische Betrachtungsweise. Eine allgemeine Phänomenologie des Menschlichen wird nur dann die Vielfalt der ihr aufgetragenen Phänomene von Menschsein zur Synthese bringen können, wenn sie keines der genannten Momente ausläßt oder absolutsetzt und wenn sie auf den strukturalen Charakter des Verhältnisses dieser Momente achtet. Die vertikale und die horizontale Betrachtungsweise implizieren einander, und innerhalb der vertikalen wie der horizontalen impliziert wiederum jedes Moment die anderen. Dadurch gewinnt das Ausgeführte seine Bedeutung für den „Außenbezug“ der Glaubenden, für ihren Dialog mit der Gesellschaft. Ohne Preisgabe des Eigenen ist es möglich, sich mit den anderen zu verständigen; ohne Rückzug aufs exklusiv Eigene ist es möglich, dieses Eigene mitzuteilen.
Von der in der obigen Struktur und ihren Momenten umrissenen Phänomenologie des Menschlichen her lassen sich unterschiedliche Ansätze der Betrachtung des Menschen und der Gesellschaft positiv würdigen und kritisch durchleuchten.
Mögliche Ansätze: Es gibt umgreifende Entwürfe eines Verständnisses des Menschen und der Gesellschaft, die an unterschiedlichen Punkten ansetzen, ohne damit bei ihren eigenen Ansatzpunkten stehenzubleiben. Bei näherem Zusehen werden es indessen Entwürfe sein, die von einem der gezeichneten Strukturmomente wiederum zum Ganzen der Struktur durchstoßen.
Ein Denken, das von der Bezogenheit des Menschen zum Absoluten, von seiner transzendierenden Grundorientierung ausgeht, [192] wird dieser gerade dann gerecht, wenn es sie einbringt in die immanenten Bezüge der Weltgestaltung, in denen es die Freiheit, die Geschöpflichkeit und die Sozialität des Menschen zu wahren gilt.
Auch der Ausgang von der „Autonomie“ des Menschen braucht nicht in einer Sackgasse zu landen, wenn das Verständnis von Autonomie die Begründung in der Transzendenz und die Orientierung auf Transzendenz zumindest offenläßt und wenn des weiteren Autonomie nicht als abstrakte Freiheit verstanden wird, die den Bezug zu den Gegebenheiten und zur Freiheit der anderen außer acht läßt.
Entsprechendes läßt sich auch sagen von einem Ordnungsdenken, das den Menschen von dem her, was ihm gegeben ist, interpretiert: von seinem Wesen, von seinen Gesetzmäßigkeiten, von seiner Geschichte und seiner Tradition.
Dies gilt nicht minder vom Ansatz bei der Gesellschaftlichkeit als solcher. Wenn die gesellschaftliche Relevanz und die gesellschaftliche Bedingtheit aller Phänomene des Menschseins als ihre entscheidende Dimension gesehen und von dieser Dimension aus interpretiert werden, dann muß eben Gesellschaftlichkeit selbst in jener Weite und Offenheit angesetzt werden, daß daraus kein abstrakter Totalitarismus des Sozialen entsteht.
Verkürzende Ansätze: Das über die möglichen Ansätze Ausgeführte hatte notwendigerweise schon immer die Verkürzungen im Blick, die durch die Absolutsetzung eines einzelnen Momentes bedingt werden: einen Supranaturalismus, der den religiösen und den profanen Bereich zertrennt oder alle Wertentscheidungen allein in den Bereich des Privaten verbannt; einen Immanentismus, der transzendente Bezüge als Ideologie ausschließt oder der eine innerweltliche Vollendung des Menschen propagiert; einen verabsolutierten Liberalismus, eine Apotheose der Beliebigkeit und des Individuums; einen Positivismus der Fakten, der Menschsein auf empirisch feststellbare Daten begrenzt und in ihnen determiniert sieht, aber auch einen Positivismus der Ordnungen, der im geschichtlichen Spiel der Freiheit und des Mitseins nichts anderes sieht als die Vollstreckung alles fixierender Wesensgesetze; einen Sozialismus, der die Polarität zwischen individueller Freiheit und Gesellschaft und die Offenheit des Menschseins über sich hinaus verkennt.