Orden und Jugend im Lebensraum der Kirche

Einige Konsequenzen

Die Grundfrage, die hinter diesem Referat steht, lautet, in der Perspektive der Orden: Wie müssen wir sein, damit wir Anruf und Angebot für unsere Jugend sind? Anruf und Angebot nicht nur in der begrenzten Sicht von Werbung und Nachwuchs, sondern durchaus im umfassenden Sinn als Anruf und Angebot Gottes an die Jugend, damit sie ihren Weg mit Christus und zu Christus finden kann. Die Grundrichtung der Antwort liegt auf der Hand: Je mehr Orden sich selber, je mehr Orden Orden sind, um so mehr sind sie Orden für die Jugend. Fassen wir diesen Ertrag in ein paar konkrete Anregungen zusammen, die sich entlang den Strukturmomenten ergeben, die sowohl für die Orden wie für die Jugend selber bezeichnend sind.

a) Beglaubigung des je größeren Gottes, Befähigung zum je Mehr

Es geht ganz einfach darum, die Berufung des Ordenschristen in jener Freiheit der Bergpredigt zu leben, die eine Freiheit zum Mehr und nicht zum Weniger ist, aber gerade darum eben: Freiheit. Solche Freiheit soll vor allem an den drei Evangelischen Räten konkret anschaubar werden.

Armut will buchstäblich verwirklicht werden – auf kaum einen anderen Punkt werden junge Menschen so kritisch achten, wie darauf, wie Ordensleute ihre Armut leben. Armut läßt los, indem sie gibt, und nicht indem sie spart. Armut ist nicht Sparsamkeit, sondern heißt geben, teilen, loslassen für ... Armut ist freilich nichts Negatives, sondern sie wirkt überzeugend in dem Maße, in welchem sie positiv Gestalt gewinnt, Stil bildet, Stil des „Anders leben“. Manchmal können wir bei Priestern eine Bereitschaft hierzu finden, die kaum geringer ist als bei Ordensleuten. Alles zusammenlegen, mit anderen seine Ausgaben planen, nichts „sich leisten“, was man nicht in der gegenseitigen communio besprochen hat. Armut ist Liebe, communio. Statt Rechte zu verteidigen und Ansprüche zu fixieren, das Miteinander im Haben und Geben und Nichthaben suchen, das weist hin auf jene Freiheit, die das Evangelium gibt. Denn Gott, um dessentwillen wir frei werden von uns selber, ist eben der Größere, ist jener, der uns befreit und reich macht. Für ihn und aus ihm läßt sich leben. Seine Vorsehung sprengt das angsthafte Sichern und Planen. Welt wird so zum Geschenk. Suchet zuerst sein Reich – alles andere wird dazugegeben (vgl. Mt 6,33).

Befremdlicher, ja Widerspruch erweckend ist der Gehorsam. Und doch ist auch er, ja gerade er, Zeugnis der größeren Freiheit. Es geht darum, daß junge Menschen andere kennenlernen, die dabei froh sind, etwas ohne Krampf, ohne Verlust von Identität nicht zu dürfen und nicht zu können, was sie mögen. Sie müssen Menschen kennenlernen, die gerne irgendwo anders hingingen als dorthin, wo es ihren Plänen am besten [22] entspräche. Ja, Menschen wirken befreiend, die nicht an die Angst um ihren eigenen Lebensentwurf gekettet sind, sondern ihn „verkauft“ haben und deswegen erst eigentlich das Leben leben können. Gelebter Gehorsam als größere Freiheit, glaubhaft bezeugter Gehorsam ist der Weg über die Autoritätskrise hinweg. Er gibt jenen Freimut, der unverkrampft und wirkungsvoll sich selber einbringen läßt, der ein größeres kritisches Potential darzustellen vermag als bloße Kritik. Denn er inspiriert mit dem anderen nicht zur Selbstverteidigung, sondern zum Gespräch. Einmal sind mir junge Menschen begegnet, die beim Besuch in einer Kommunität darüber verwundert waren zu sehen, daß hier eine nahtlose Einheit, ein problemloses Miteinander herrscht, bei dem der Obere offenbar höchste Autorität genoß, ohne daß sie bei ihrem Aufenthalt in dieser Kommunität merkten, wer nun dieser Obere war.

Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen als Freiheit nicht nur von anderen, sondern zumal als Freiheit für andere leben. So hat es in seinem Gründonnerstagsbrief 1979 Papst Johannes Paul II. für die Priester gefordert, in denen er auf andere Weise wie in den Familienvätern Menschen für andere sehen möchte. Menschen, die für einen allein da sind, um so mit diesem einen, der für alle da ist, für die anderen da zu sein. Jungfräulichkeit ist Zuwendung, die nicht an sich selbst hängt und deswegen fähig ist, sich ganz zuzuwenden und doch auch Abschied zu nehmen, ohne zu verletzen und ohne zu verlassen. Denn die christliche Jungfräulichkeit ist nicht zuerst und nicht zuletzt ein Nein, sondern ein Ja, das Ja zu dem, der ein ungeteiltes und bleibendes Ja zu jedem sagt. Die Erfahrung solcher Freiheit beengt nicht, sondern sie setzt frei.

b) Übersetzung: vorwärts zum Charisma des Ursprungs

Wie soll eine Ordensgemeinschaft ihr lebendiges Jetzt, ihren je selben und je neuen Ruf erkennen und leben? Man könnte die Antwort darauf geben mit dem paradoxen Satz; Vorwärts zum Charisma des Ursprungs. Nicht zurück, sondern vorwärts! Im Jetzt die neue Zukunft für unsere Gemeinschaft gewinnen, das geht, wenn wir den Ursprung gewinnen, wenn wir uns der Gnade des Gründers, dem Charisma des Anfangs so öffnen, daß daraus nicht nur die Selbstbestätigung unserer Beurteilung der Situation erwächst, sondern ein neues Licht auf diese Situation fallen darf. Man könnte sagen: Der tragende Weg in die Zukunft ist der Weg in den Ursprung. Es fängt an nicht mit der Planung, sondern mit der Kontemplation, mit dem Blick auf den Herrn in jener Perspektive, die der Gründer und sein Ruf uns erschlossen haben.

Freilich wird immer auch ein zweites erfordert sein: Aktion, Apostolat. Doch in jeder Gemeinschaft, nicht nur in einer kontemplativen, wird das Apostolat des Seins den Vorrang vor allem Apostolat des Tuns haben [23] müssen. Also: in der Ungeduld, wie es weitergehen soll, den Atem anhalten, gelassen werden, einfach sein, einfach die Berufung leben. So kommt sie zum Strahlen, strahlt andere an, wirft Licht auf die Situation, wirft Licht auf den Weg, den wir gehen sollen.

Beides ist wichtig nicht nur für die eigene Gemeinschaft, es ist wichtig auch für die junge Generation. Vorwärts zum Ursprung, vorwärts zur Herkunft: nur so gewinnen wir jene Geschichte neu, ohne die es Zukunft und Gegenwart nicht gibt. Sein vor Wirken, Wirken durch Sein: das ist die Alternative zum Gefühl der Machtlosigkeit und Folgenlosigkeit, das so schnell zur Teilnahmslosigkeit, zum Auszug, zur Verweigerung führt. Keiner ist machtlos, denn Dasein ist nicht machtlos, Dasein wirkt. Und an dem, der da ist aus Glauben, sollte man es ablesen können.

c) Aufbruch nach innen, Erneuerung aus dem Innen

Man fragt uns nach unserer Spiritualität, nach der Alternative, die unser Weg anzubieten hat. Unsere Antwort sollte ein Leben aus dem Ursprung sein. Dann geht unser Leben anders. Wenn wir leben wie Franz oder wie Benedikt oder wie Ignatius oder wie Charles de Foucauld oder wie Franziska Schervier, dann gibt es bestimmte Eigenarten, auf bestimmte Situationen zu reagieren, bestimmte Aufgaben anzupacken, bestimmte Weisen zu beten, zu sehen, zu denken. Genau das ist unsere Spiritualität. Wir sollten sie einmal als Weg beschreiben, wir sollten auf die vier oder fünf oder zehn wesentlichen Seh- und Reaktionsweisen achten, die aus dem Proprium unserer Berufung erwachsen. Wegverlauf des Lebens, wie man als Glied unserer Gemeinschaft eben lebt und geht. Es ist nicht Festlegung auf eine Schablone, sondern wirklich: Wegerschließung, die das Selbergehen und darin die unverwechselbare eigene Erfahrung möglich macht. Es wäre eine lohnende und drängende Aufgabe, einmal deskriptiv den eigenen Weg, die eigene Spiritualität zu ermitteln, um sie sich und anderen vermitteln zu können. Wie lebt man als Kleine Schwester? Wie lebt man als Kartäuser? Wie lebt man in der Familie von Julie Billiart oder Vinzenz von Paul? Ein Zweites: Sperren wir unsere Spiritualität nicht in uns selber ein, sondern haben wir Mut zum Austausch über unsere Erfahrungen, die wir in ihr machen. Leben wir etwa gemeinsam ein Wort des Evangeliums und probieren, dabei die spezifische Färbung unserer Spiritualität, unseres spezifischen Weges zu ertasten. Es sollte in jeder Gemeinschaft einen Schatz an geistlicher Erfahrung geben, den wir einander schenken und den wir in aller Schlichtheit und Unmittelbarkeit ins Zeugnis einbringen können. An nichts fehlt es mehr für unsere Gemeinschaften, aber auch für die junge Generation als an „Lebenspotential“ und „Erfahrungspotential“, das anregt, selber zu leben und Leben weiter aus dem Geist zu entfalten. Wege tun not und Wegerfahrung. An beidem könnten Ordensleute und Ordensgemeinschaften reich sein.

[24] d) Gemeinschaft miteinander als Gemeinschaft mit dem lebendigen Herrn

Statt einer Zusammenfassung des Ganzen kann am Ende eine einzige Frage stehen, die Frage, von der zutiefst die Lebensfähigkeit unserer Gemeinschaft und ihre Glaubwürdigkeit nach außen, gerade jungen Menschen gegenüber, abhängt. Sie lautet: Leben wir in unserem Konvent, in unserer Gemeinschaft Tag für Tag so, daß Jesus selbst es in unserer Mitte aushält? Wenn wir so leben, dann ist er auch da. Er hat es versprochen. Und darauf, daß Jesus zwischen Menschen, zwischen uns präsent sein und sich bezeugen kann, kommt alles an. Auch heute fragt die Jugend wie einst die Jünger: Meister, wo wohnst du? Und wir sollten antworten können: Kommt und seht! (vgl. Joh 1,38 f). Er hat viele Wohnungen. Jede Ordensgemeinschaft, jeder Konvent soll eine sein: Da, wo wir uns jeden Tag neu für seinen Willen entscheiden, für seinen Ruf vor allem anderen: da, wo wir dem Kreuz, das unser Miteinander und unsere Aufgaben bedeutet, uns nicht entziehen; da, wo die gegenseitige Liebe uns wichtiger ist als alles noch so dringliche andere Interesse. Der eine Jesus in den vielen Wohnungen und vielen Kleidern der vielen aus seinen Gnadengaben gewachsenen Gemeinschaften: das soll unser Zeugnis sein.