Erzählen von Klaus Hemmerle. Beitrag zu einer Austauschtagung

Einleitung

Wir erlauben uns, Ihnen und Euch einen Kaltstart zuzumuten. Obwohl: vielleicht ist er gar nicht so kalt, wenn wir uns auf die Gewohnheit vieler kirchlicher Gremien berufen, vor der Tagesordnung mit einer Art geistlichem Impuls zu beginnen. Wir haben ein Bild mitgebracht:

[Arnulf Rainer: Christus-Übermalung]

Das Werk Arnulf Rainers ist durchzogen von einer Spannung, die schon im Kunst-, Bild- und Weltverständnis selbst gründet: Das Bild kann nicht zeigen, was es zeigen will, das Bild verschließt sich, wenn es zu ein-deutig wird. In seinen berühmten Übermalungen spitzt Rainer diese Spannung zu, indem er Bilder mit Stift und Pinsel, mit breiten und schmalen Strichen, bunten und schwarzen Formen übermalt und so versucht, ihren verborgenen Sinn zu befreien, ihn wieder zugänglich zu machen, indem er das ursprüngliche Bild verbirgt, übermalt, in wechselnder Heftigkeit gar zerstört.

Bilder gehören wohl zu unserem täglichen Leben. Sie helfen begreifen, einordnen, bewerten, austauschen. Auch von – und sogar über – Klaus Hemmerle gibt es viele Bilder, eine unerschöpfliche Fülle an Deutungen, Zugängen, Begriffen, Bewertungen, Einordnungen. Bilder eines überforderten oder eines adäquat handelnden Bischofs; Bilder eines Helden und treuen Kirchenmanns; Manche Bilder eines Freundes; Und viele mehr – es werden Ihnen und Euch gewiss gerade schon einige Bilder mehr in den Sinn kommen. Diese Bilder stehen – und die Zeit spielt mit, je länger Klaus Hemmerle tot ist – unter dem Druck einer sich zuspitzenden Tendenz der Vereindeutigung, indem sie sich durch Tradierung verfestigen.

Diese und einige Bilder mehr sind uns beiden in den Sinn gekommen, als wir gebeten wurden, diesen kleinen Vortrag vorzubereiten. Und wir haben uns gefragt: Aus welcher Perspektive sprechen wir? Wir sind beide keine Aachener. Auch ein geistliches Amt hat keiner und keine von uns inne. Wir sind beide keine Freundinnen und Freunde Hemmerles gewesen – waren wir doch noch Kleinkinder, als er starb. Wir blicken nicht auf eine eigene Lebensgeschichte zurück, die unser Erzählen von Hemmerle entscheidend färben könnte. Aber: Uns fasziniert etwas an Klaus Hemmerle. Von dieser Faszination, die sich bisweilen auch in Irritation äußert, wollen wir Euch und Ihnen heute erzählen – und davon, was es für uns in diesem Zusammenhang überhaupt bedeutet, zu erzählen. Was kann sich zeigen, wenn wir den Mut haben, uns in dieser Austauschtagung nicht nur gegenseitig unsere Bilder von Hemmerle zu zeigen wie in einer Ausstellung, sie nicht nur einzusortieren und auszutauschen wie in einem Sammelalbum, – sondern wenn wir den Versuch wagen, an Arnulf Rainer angelehnt, manche Bilder zu übermalen?