Caritas – eine theologische Reflexion zwischen Konzil und Synode

Einspruch gegen die „christliche Liebe“

Liebe ist gefragt; sie ist das Kriterium für Christentum und Kirche. Das zeichnet unsere Situation. Sie ist indessen ebenso gezeichnet vom Widerspruch gegen Theorie und Praxis christlicher Liebe oder dessen, was als christliche Liebe gilt.

Liebe, so wird gesagt, sei eine privatisierende Mißdeutung, ja Unterhöhlung dessen, was heute nottut: des weltweiten gemeinsamen Kampfes für Menschheit und Menschlichkeit. Nicht um Liebe gehe es, sondern um Gerechtigkeit und um deren rationale Herstellung und Sicherstellung in den Strukturen der Gesellschaft. Christliche Liebe schaue auf den Gott, der sich liebend niederneigt. Sie komme so von oben, als „Almosen“, sie nehme den Menschen nicht partnerschaftlich ernst, gebe ihm nicht, was sein ist, sondern spiele sich auf als die Kraft souverän-ungeschuldeten Erbarmens.

Liebe, so wird gesagt, sei als Liebe gegen jedermann und in jeder Situation, gar als Liebe nach dem Maß der Selbstentäußerung Christi, eine Überforderung. Aggressionen, so argumentiert man, gehören zum psychischen Gleichgewicht des Menschen und der Gesellschaft. Sie könnten durch das ethische Bemühen einer absoluten Liebe nicht überwunden, sie könnten nur verdrängt werden, um dann um so unheimlicher und ohne Kontrolle in das Leben des einzelnen und der Gesellschaft zurückzukehren. Daß es der christlichen Liebe so wenig gelang, in der Geschichte christlicher Völker und christlicher Kirchen Grausamkeiten und Unmenschlichkeiten zu bannen, wird als Beweis dafür herangezogen.

Liebe, so wird gesagt, sei der Deckmantel für die Zementierung des Bestehenden. Um ihretwillen werde gewaltsame Veränderung in Kirche und Gesellschaft ausgeschlossen und damit gerade der Impuls des Evangeliums zur Veränderung verraten. An die Stelle des nazarenischen Kinderfreundes, des Guten Hirten fürs verlorene Einzelschaf wird das Zielbild des zornigen Jesus der Tempelreinigung und der Streitreden gegen die Schriftgelehrten und Pharisäer gesetzt.

Liebe, so wird gesagt, werde durch die Verherrlichung des Kreuzes zum Alibi für wahre Aktivität, zur Fluchtburg der Fußkranken auf dem Marsch der menschlichen Entwicklung, der alle Energie und allen Einsatz erfordere.