Einssein als Zeugnis für den Dreifaltigen*

Gott hat ja zum Menschen gesagt, er liebt den Menschen. Und wenn er liebt, dann ist seine Liebe so total, wie er selbst eben total ist. Er ist Liebe, und deswegen kann er aus seinem Handeln, aus seiner Liebe nichts auslassen. Alles, was er ist und was er hat, muß er in diese Liebe zum Menschen investieren: sich selbst! Er hat sich so radikal investiert, daß er sich selbst in diese Menschheit hineingege¬ben hat, in seinem Sohn, in der Inkarnation. Christus ist die Selbstinvestition Gottes in diese Menschheit hinein. Aber wenn es nur Jesus Christus gäbe, wenn nur er [41] da wäre, dann wäre Gott in der Menschheit nicht ganz da. Wenn es nur diese eine Person, diesen einen Menschen gäbe, in dem Gott anwesend ist, wenn es Jesus Christus nur als isolierten Punkt in der Menschheitsgeschichte gäbe, dann hätte Gott sich nicht ganz hineingegeben, wenngleich der ganze Gott in Jesus Christus da wäre. Gott wäre trotzdem noch einer, der irgendwo einsam da oben steht, er hätte in Jesus Christus gleichsam eine Kontaktstelle, eine Leitung in die Welt hineingegeben. Was er aber selbst ist, die „Innenseite“ Gottes, das wäre noch weit weg. Gott ist nicht nur die Vertikale, nicht nur „der da oben“ – selbstverständlich ist er es und muß es bleiben, und wehe uns, wenn wir diese Vertikale umstürzen! Vielmehr ist Gott auch in sich selbst horizontal, ist er in sich selbst Gemeinschaft, dieses unendlich liebende Du-Sagen von Vater und Sohn zueinander im Heiligen Geist. Nur dann ist Gott ganz da, nur dann erfahren wir ihn ganz, nur dann hat er sich uns ganz geschenkt, nur dann ist sein Ja bis zum Äußersten und Letzten bezeugt und Wirklichkeit geworden in dieser Menschheit, wenn er selbst uns auch dieses horizontale Geschehen schenkt und wir auf unserer Ebene Gott so finden, daß er als Gemeinschaft hier unter uns lebt, daß das, was zwischen dem Vater und dem Sohn lebt, in unserer Mitte, zwischen uns, lebt. [42] Jesus hat in seinem Hohenpriesterlichen Gebet, wie es uns Johannes überliefert (Joh 17), nicht darum gebetet, daß wir mit dem Vater eins seien, wie er mit dem Vater eins ist – das ist sicher die Voraussetzung –, sondern er hat das im Grunde Unerhörte dazu erbeten, daß wir untereinander eins seien, wie der Vater und der Sohn eins sind. Dieses Leben Gottes – das heißt, wie Vater und Sohn zueinander stehen, miteinander sind, einander ganz annehmen, einander sich ganz und gar verschenken, so daß alles, was der Vater hat, auch dem Sohn zu eigen ist und umgekehrt –, das hat er für uns als das Leben erbeten, das wir miteinander führen sollen. Ich nehme dieses Wort ganz ernst und glaube, daß es keine Spekulation ist, sondern daß dieses Gebet Jesu die große Verpflichtung ist, nach der wir streben müssen, das, worauf letztlich alles ankommt. Nicht umsonst heißt es dort: „Daß sie eins seien in uns, damit die Welt glaube, daß du mich gesandt hast“ (Joh 17,21). Das eben ist die Kirche, Kirche als Handeln Gottes: daß solche Einheit, wie sie in Gott lebt, zwischen uns leben kann durch Gott, aus ihm, daß er sich der Welt bezeugen kann, er, der entzogene, dreifaltige Gott, in unserem Einssein miteinander. Nur dann hat mir der Sohn alles geschenkt, was er in sich hatte, wenn er mir schenkt, daß ich in [43] einem, der mir gleich ist, Gott selbst finden kann. Nicht im Sinne einer Verklärung des Menschen, einer humanistischen Anmaßung, in einem Sich-Auf-Werfen des Menschen zu Gott, sondern darin, daß Gott selbst sich in diesen anderen und in mich hineingesenkt und hineingeschenkt hat, daß aus Gott und durch seine Gnade zwischen uns Menschen gegenseitige göttliche Beziehung wird. Das ist das Maß der Kirche, darum geht es, dafür lebt Kirche, das soll Kirche der Welt schenken. Nur nach solchem Leben, nach solcher Fülle sehnt sich der Mensch, und nur wenn das dem Menschen geschenkt wird, wird er die Fülle seines Lebens und die Fülle seiner Menschlichkeit finden. Denn alles Streben des Menschen nach Menschlichkeit ist im Grunde Streben des Menschen nach göttlichem Leben, das er von sich aus nie erreichen kann, das ihm aber Gott in Jesus Christus geschenkt hat. So gehört die Kirche als die gegenseitige Beziehung zueinander – wie der Vater und der Sohn eins sind – in die Mitte des göttlichen Handelns hinein, sie „ist“ der in der Welt handelnde Gott. Hier kommt Gott in der Welt zur Darstellung, zur Wirklichkeit und Wirksamkeit.