Macht und Ohnmacht des Wortes
Elemente des Wort-Dramas
Die Antwort auf die Frage, wie mein Wort ankommen wird, was mein Wort ausrichten wird oder nicht, hängt zunächst einmal vom Zusammenspiel verschiedenartiger Elemente ab, die immer ins Spiel kommen, wenn ich spreche. Ich spreche – ich komme im Wort ins Spiel. Und wenn nicht irgendein Ich einmal ein Wort kreiert oder gebraucht, gesagt oder hingeschrieben hätte, dann wäre dieses Wort eben nicht ins Spiel gekommen, es gäbe dieses Wort nicht. Es gibt nur Worte, die ein Ich einmal ins Spiel gebracht und mit denen somit ein Ich sich ins Spiel gebracht hat.
Ich stehe in der Frage – ich spreche –: Bin ich wirklich da in meinem Wort, komme ich an, werde ich anerkannt, kann ich mich ausdrücken? Das ist das eine Element: Ich.
Das zweite Element heißt Sache. Jedes Wort hat im Grund seine Sache. Auch dann, wenn es nicht ein Hauptwort ist, das etwas bezeichnet, was man in einer klassischen Ontologie mit „Sache“ meint. Jedes Wort blickt auf etwas, was es zum Ausdruck bringt, es hat in der Unterschiedlichkeit von anderen Worten, in der Unterscheidbarkeit von dem, was irgendein anderes Wort sagt, seinen besonderen Akzent, auf den sich reflektieren, der sich auf irgendeine Weise abgrenzen, bezeichnen läßt; und insofern hat jedes Wort eben direkt oder zumindest indirekt seine Sache.
Die Sache kommt ins Spiel und stellt mich vor die Frage, ob sie in der Weise, wie ich sie bezeichne, a) in sich und b) so, wie ich sie sehe, wirklich ins Spiel kommt. Diese beiden Fragen stellen sich, wenn ich zu sprechen anfange: Treffe ich die Sache? – und „trifft mein Wort die Sache so, wie ich die Sache sehe?“
Es kommt aber eben auch ein Wort ins Spiel. Und selbst wenn ich ein Wort neu erschüfe, so wäre dieses Wort doch nicht nur meine Kreation, wäre es nicht nur mein Ausdruck, sondern es hätte seine Eigenwertigkeit als Klanggebilde und nicht nur als Klanggebilde, sondern eben auch insofern es immer, in einen Kontext hineinsprechend, nicht nur diesen Kontext aller Worte mit bestimmt, sondern auch vom Kontext aller Worte mit bestimmt ist.
Jedes Wort steht im Verhältnis zu den anderen Wörtern, ist ein Stück Sprache; und ist, weil es ein Stück Sprache ist, von den Hypotheken der Sprachgeschichte der Menschheit und der Sprachentwicklung mitbelastet. Jedes Wort bestimmt zumindest im statistischen Sinn das Gewicht der gesprochenen Worte insgesamt mit; und dieser statistische Sinn wirkt sich auf die Dauer auf Sprachgewohnheiten aus. Und umgekehrt ist jedes Wort eingebunden in eine Sprachgeschichte: Ich nehme Worte in den Mund, die [83] ich so nur sagen kann – mit diesem Sinn und diesem Klang –, weil andere schon dieses oder andere Worte, an die ich alliteriere und auf die ich mich beziehe, gesprochen haben. Wenn ich spreche, spricht die Sprache der Generationen mit.
Und schließlich hat mein Sprechen nicht nur darin ein Schicksal, daß eben ich mich preisgebe und hineingebe in das Schicksal der Sprache, und daß dieses Schicksal der Sprache, ihre Vielverständlichkeit, ihr gewohnter oder ungewohnter Klang, das, was einfach Sprache als ganze ist, mein Wort mitdeterminiert, sondern auch und gerade darin, daß es auch noch den Partner gibt. Denn mein Wort ist Wort zum Hören, ist Wort zum Rezipieren. In der Sprache ist ein Wort, das genauso, wie es von einem Ich gesagt wurde, nur deswegen als Wort vorkommt, weil es auch als Wort rezipiert wurde. Jenes Wort, das ich nur vor mich hinmurmelte in meiner absoluten Einsamkeit ohne Widerhall, jenes Wort könnte nur dadurch Sprache mitbestimmen, daß mein Murmeln mein nachheriges Reden und Begegnen und Sprechen mit anderen eben doch als Untergrund mittrüge. Nur von irgendeiner Weise der noch so indirekten Rezeption durch andere her wird mein Wort wirkliches Wort – Wort in der Sprache.
Und hier ist ja eine der Hauptquellen für jene innere Ungesichertheit, jene innere Dramatik, in welcher die Sprache und das Reden immer wieder stehen, in welcher ich stehe, wenn ich mit Ihnen zu sprechen anfange, in welcher Sie stehen, wenn Sie zu reden anfangen im Religionsunterricht oder zu Hause am Tisch. Immer ist dann doch auch der Partner mit im Spiel, die Weise wie er aufnimmt; und genau dies – daß dies nicht machbar und kalkulierbar ist, sondern sich unkonstruierbar gibt – das eben ist Zeichen der merkwürdigen Ungesichertheit und Dramatik von Sprache.
Tragen wir noch einmal die Elemente aus dieser Situation des Anfangs zusammen, die miteinander ins Spiel kommen in jedem Wort und von denen nicht im vorhinein geklärt ist, wie sie miteinander ins Spiel kommen: Ich – Sache – Wort – Partner.