Hoffnung für uns

Entwicklungsarbeit und Mission*

Aber haben wir mit dieser Anspielung nicht vom Eigentlichen, vom Typischen des Konzeptes Misereor abgelenkt? Beim Epheserbrief ist direkt die Kirche im Blick. Bei Misereor ist es um anderes zu tun als um die eine Kirche in der Partnerschaft der vielen Teilkirchen. Misereor – wir sagten es schon – geht davon aus, daß es zum Christsein des Christen einfach gehört, sich um die menschlichen Bedingungen für das Menschsein eines jeden von der Liebe Christi her zu interessieren und einzusetzen. Die Glaubwürdigkeit dieses Einsatzes würde durch Missionsabsicht gerade verdunkelt. Und es ist mehr als ein taktischer Verzicht, wenn Misereor es ablehnt, als Vortrupp christlicher Mission verstanden zu werden. Das heißt freilich auch, daß Misereor im vorhinein darauf verzichtet, den ganzen christlichen Auftrag für den Menschen und die Welt abzudecken.

Wenn wir als Christen dem Menschen alles schuldig sind, dann sind wir ihm auch und zumal die Botschaft schuldig, den Glauben, in welchem das ganze Heil und die ganze Befreiung erst sichtbar werden. Mission muß sein. Aber Mission würde ihrerseits unglaubwürdig, sie brächte sich ihrerseits um ihre ganze Tiefe, wenn sie das Evangelium nur als Mittel zu menschlicher Erfüllung und Entwicklung anböte. Freilich kann auch Mission sich nicht anders beglaubigen als dadurch, daß sie an der gelebten Liebe, an der Zuwendung zum ganzen Menschen sichtbar macht: das Evangelium ist mehr als allein Botschaft fürs Innen und fürs Jenseits. Weil das Wort Fleisch geworden ist, gehören Göttliches und Menschliches in der Mission und im christlichen Dienst an der Entwicklung unlösbar zusammen. Aber die Weise ihres Ineinander ist verschieden.

Mission hat zu ihrem Inhalt den göttlichen Auftrag, die göttliche Botschaft. Aber diese göttliche Botschaft kommt ins menschliche Wort, [63] stellt sich dar im menschlichen Zeugnis, gewinnt, um für den Menschen verständlich und zugänglich zu werden, menschliche Gestalt. Mehr noch: Die Göttlichkeit dieser Botschaft weist sich gerade darin aus, daß sie die Macht hat, dem, der glaubt, auch neue Möglichkeiten des Menschseins zu erschließen, sein Menschsein von innen her zu verwandeln, zu erfüllen, über sich hinauszuführen.

Kirchliche Entwicklungsarbeit, wie sie sich in Misereor darstellt, hat ihr Maß und ihren Impuls in der Liebe Gottes, die sich verschenkt bis zur Entäußerung. Weil Gottes Thema, weil das Thema seiner Liebe der Mensch ist, sieht auch solche Entwicklungsarbeit ganz auf den Menschen ab. Es ist gerade ihr theologischer Rang, das Theologische als Wurzel im Verborgenen zu lassen, damit aus ihm als Frucht das Menschliche hervortreiben kann. Beinahe paradox könnte man formulieren: Es ist die anthropologische Aussage der Mission, daß der Mensch nur er selbst ist, indem er über sich hinausreicht ins Göttliche – und es ist die theologische Aussage der Entwicklungsarbeit, daß Gott gerade er selbst ist, indem er über sich hinausgeht ins Menschliche.

Daraus jedoch erhellt, daß eines aufs andere verwiesen ist, daß christliche Existenz und christliche Kirche sich nicht auf einen der beiden Aspekte beschränken können. Heutzutage werden nicht selten Heils- und Weltdienst gegeneinander isoliert oder nivellierend einander gleichgesetzt. Hier kann Misereor als Ergänzung zur Mission ein Modell für die Bezogenheit und den Unterschied beider Dimensionen bieten.