Was haben Evangelium und Wirtschaft miteinander zu tun?

Ethische Konsequenzen*

  1. In der Person Jesu verfaßt und verdichtet sich das Neue des Christentums. In ihm bricht die Herrschaft Gottes endgültig an; er ist der Ort der Gegenwart Gottes mitten in der Welt; er ist der Sohn Gottes. Die Unausdenklichkeit, Gott im Menschen, dem Menschen in Gott zu begegnen, hat die frühe Kirche in heftige Auseinandersetzungen darüber geführt, wie dieses Geheimnis in adäquate Begriffe zu fassen sei. Will man in grober Schematik die große gedankliche Arbeit der ersten Jahrhunderte christlicher Theologie und Glaubenslehre zusammenfassen, dann wird man die Einsicht nennen müssen, daß in Jesus Christus die ganze menschliche und göttliche Wirklichkeit unverkürzt zugegen ist. Zwei mögliche Fehldeutungen wurden auf diese Weise abgewiesen, indem zu einem Verständnis vorgestoßen wurde, das heute das gemeinsame Fundament aller Christen ist: Zum einen ist Jesus weder jener Mensch, in dem die Gottheit vom Menschsein aufgesogen wird und in ihm verschwindet, noch jener Gott, in welchem die Menschheit sich wie ein Tropfen im Meer verliert. Gottheit und Menschheit vermischen sich nicht, sondern Jesus Christus ist ganz Mensch und ganz Gott. Auf der anderen Seite kann nicht einer Trennung des Göttlichen und Menschlichen das Wort geredet werden, sondern die unvermischten Wirklichkeiten durchdringen einander ungetrennt. Dies meinen die Aussagen „ungetrennt und unvermischt“, „wahrer Gott und wahrer Mensch“.

    Diese christologische Einsicht hat aber Konsequenzen für unsere Fragestellung, denn als Christen sind wir gehalten, in allen Lebensbereichen eine entsprechende Entscheidung durchzutragen. So gilt es auf der einen Seite, dem Modell des Fundamentalismus zu wehren: Das Reich Gottes ist schon ganz gegenwärtig und bestimmt die Wirklichkeit ausschließlich; die Regulative menschlicher Ordnung werden unmittelbar aus der vermeintlich himmlischen deduziert; Reich Gottes wird „gemacht“; die göttliche Herrlichkeit überstrahlt die menschliche Ordnung und vermischt sich mit ihr. Der Fundamentalismus ist gewalttätig und zerstörerisch, weil in ihm keine Inkarnation, keine Durchdringung der Wirklichkeit von innen geschieht.

    Das andere Modell: die Separierung der Bereiche. Wir geben uns einerseits religiös, hoffen vielleicht auf das Reich Gottes, bemühen uns um Werke der Liebe, aber bestehen andererseits auf der Trennung des Irdischen vom Reich Gottes. Die Ordnung menschlicher Wirklichkeit kreist in sich.

    [9] Weder Vermischung noch Trennung sind christlich: Der Christ nimmt beide Ordnungen radikal ernst und trägt in ihnen und aus ihnen das eine Leben als Christ und als Wirtschaftender so durch, daß in ihrer Unterschiedlichkeit die Ordnungen aufeinander bezogen bleiben.

    Christen wird der Mut abverlangt, mitten in den Bereichen dieser Welt zu leben und Gott zu geben, was Gottes ist (vgl. Mk 12,17). Wie lassen sich von diesem Standort des Christen her wichtige Aspekte des Evangeliums zu einer christlichen Ethik der Wirtschaft formulieren? Ich möchte zunächst auf drei entsprechende christliche Grundhaltungen aufmerksam machen, die in einigen Optionen als das Handeln leitende Prioritäten ihre Kontur zu gewinnen vermögen. Die Optionen können allerdings nur kurz genannt werden, so daß ihr Ort im Ganzen sichtbar wird als Ansatzpunkt für weiteres Nachdenken.

  2. a) Wir stehen vor der Aufgabe, die Wirklichkeit in Demut und Mut zugleich zu gestalten: Es gilt, die Arbeit auf sich zu nehmen und sich in den Prozeß der Weltgestaltung hinein zu wagen. Uns wird der Mut zur Endlichkeit abverlangt, der ein Mut zum Werk in der Hoffnung ist, mit dem eigenen Werk Wirklichkeit zu gestalten. Arbeit wird so ernstgenommen und zugleich relativiert, weil sich zeigt, daß sie allein das Glück der Menschheit nicht erzwingen kann, daß sie allein das Reich Gottes nicht bauen kann.

    b) Gütergemeinschaft ist als das Miteinander gefordert, welches damit ernst macht, daß Leben Leben aller, Leben miteinander heißt und darum die Güter zuerst dafür da sind, daß alle menschlich leben können. Dies erfordert die besondere Achtsamkeit auf jene, deren Lebensmöglichkeiten und -rechte beschnitten sind.

    c) Ein Kennzeichen der Christlichen ist es, sich auf die Vorsehung zu verlassen. Wir sollen uns sorgen: Jesus weist in einem Gleichnis darauf hin, daß jeder, der anfängt, einen Turm zu bauen, gehalten ist, die Finanzierung zu sichern (vgl. Lk 14,28). Diese Vorsicht des Menschen ist unverzichtbar. Aber wer nur auf die eigene Sicherheit, nur auf das Berechenbare und Machbare zu bauen sucht, wird scheitern. Es bedarf der Kreativität, die Neues auf jene Zukunft hin wagt, welche unseren Händen letztlich entzogen ist. Ein Unternehmer ohne unternehmerische Initiative und Wagemut, die keineswegs blindes Riskieren bedeuten, ist nicht erfolgreich. Der Unternehmer stößt auch in der Ordnung der Wirtschaft nur dann zur Kreativität vor, wenn er über das Berechenbare hinausgeht und sich neuen Möglichkeiten in Abschätzung der Risiken öffnet. Der Christ aber vertraut dem, der die Zukunft in [10] den Händen hält. Dieses Vertrauen und Hoffen auf die Macht Gottes schenkt den Mut, notfalls vor der Welt als Tor zu erscheinen, wenn man sich für die Welt und den Menschen engagiert. Das Vertrauen, das über die Ränder selbstbezogener Pläne und Sicherheiten hinausblickt, kann allein den immanenten Kreislauf der Wirtschaft sprengen, im welchem sie sich zu verschließen droht. Dann wird aber der, welcher in der Wirtschaft Verantwortung wahrnimmt, freigesetzt, Initiativen und Entscheidungen für den Menschen zu treffen.

  3. Diese Grundhaltungen können in vier Optionen, die dem Handeln des Christen als Prioritäten aufgegeben sind, Gestalt gewinnen: a) Die erste Option gilt den Geringen, Schwachen und Armen. In den einschlägigen Dokumenten der katholischen Kirche, den päpstlichen und denen der Lateinamerikanischen Bischofskonferenz, wird eine vorrangige Option für die Armen gefordert. Es geht darum, zuerst – nicht aber ausschließlich – sich für die Armen einzusetzen.

    b) Eine weitere Priorität scheint der ersten entgegenzustehen, aber gerade diese Spannung kann fruchtbar werden: Option für das Ganze. Nur dann kann der Ärmste leben, wenn alle leben können. Es gilt, das Lebensrecht aller in einer universalen, gerechten Ordnung zu wahren; der Einsatz für das Ganze über partikulare Interessen hinaus ist dem Christen aufgetragen.

    c) Diese Priorität korrespondiert einer weiteren, spezifisch christlichen: Option für den Nächsten. Wir tragen Verantwortung für den, der uns jeweils begegnet und unmittelbar angeht.

    d) Diese Priorität steht wiederum in fruchtbarer Spannung zu einer anderen: Option für die Fernsten. Sie richtet sich auf die, welche in der Ordnung des Ganzen jeweils „auf der anderen Seite“ stehen. Diese Option beansprucht gerade die Kreativität dessen, der als Christ in der Ordnung der Wirtschaft Verantwortung trägt.

    Diese vier Optionen gilt es, miteinander zu verbinden und aus ihrer Konsonanz zugleich Maßstäbe zu entwickeln. Nicht eine Auflistung von Prinzipien tut not, aus denen sich dann unmittelbar Konsequenzen ableiten lassen. Dimensionen sollen vielmehr eröffnet werden, in die christliches Sein als ganzes hineingehalten ist. Werden die genannten Optionen auf diese Weise ernstgenommen, wird eine innere Dynamisierung des Wirtschaftens vom Evangelium her möglich: Handelt es sich auch um zwei Ordnungen, die zunächst in Konkurrenz stehen, kann doch ihre wechselseitige Durchdringung furchtbar werden.