Eucharistie und Weltverantwortung

Eucharistie – Verwandlung der Wirklichkeit

Wir Christen glauben, daß Gott dieses Wort gesprochen hat: Ja, es ist gut, es ist im ganzen gut. Und dieses Wort ist sein Sohn. Es ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt. Das heißt aber: Jesus hat sich eingelassen genau in das Spiel und in den Kampf unserer Wirklichkeit. Auch die Geschichte Jesu ist geschrieben mit den drei Chiffren: Ideal, Interesse, Tod.

Sein Ideal ist der Vater, das Reich Gottes. Für dieses Ideal verzehrt er sich, für dieses Ideal begeistert er die Menschen. [13] Für die Jünger ist es selbstverständlich, daß dieses Ideal stark genug ist, auch ihr elementares Interesse, das Interesse an Erfolg und Glück und Macht zu decken. „Wir haben alles verlassen und sind dir nachgefolgt, was wird uns dafür zuteil?“ „Wer wird zur Rechten und zur Linken sitzen in deinem Reich?“ „Wann wirst du in dieser Zeit das Reich Israel wieder aufrichten?“ Jesus aber, dessen Worte und Zeichen ausweisen, daß er in Vollmacht handelt und daß diese Vollmacht stärker ist als Tod und Unheil, schockiert die Jünger, indem er zugeht auf das Kreuz, in den Tod.

Das Schicksal Jesu scheint genau das fatalistische Vorurteil zu decken, das so oft unserem eigenen Reden von der Wirklichkeit zugrunde Liegt: das Vorurteil von der Übermacht der Verhältnisse. Mit Idealen kann man offenbar diesen Verhältnissen nicht beikommen, Aufopfern der eigenen Interessen im Interesse anderer ist rührend, aber folgenlos. Der Tod bleibt stärker.

Ostern, Auferstehung setzt diese Deutung außer kraft. Ein neues Verständnis der Wirklichkeit bricht auf: Nicht die Verhältnisse sind stärker, sondern die Liebe. Jesus hat in seinem Ideal, in seiner Botschaft vollmächtig das Wort ausgerichtet, das Gott zur Welt, zum Menschen sprechen will: Ja, es ist gut, es ist gut im ganzen. Gott hat freilich das, was nicht gut ist an der Welt, nicht beiseite geschoben, mit einem Handgriff seiner Allmacht ausgeschaltet. In seinem Tod hat Gottes Sohn alles, was nicht gut ist an der Wirklichkeit, vielmehr von innen her ausgelitten und verwandelt, hineingenommen in Gottes „Ja, alles ist gut“. Von daher sind der Tod Jesu und unser in Gemeinschaft mit ihm angenommener Tod nicht mehr Besiegelung der Übermacht der Verhältnisse, sondern Zeugnis dafür, daß Gott Liebe ist und daß diese Liebe starker ist. Der Tod selber ist verwandelt, er ist nicht mehr Tod unseres notwendigen Interesses an uns selbst. [14] Denn in Jesu Tod offenbart sich Gottes äußerstes Interesse für uns, für den Menschen. Und so haben wir es nicht notwendig, ängstlich um uns selber zu kreisen, sondern wir dürfen unser Interesse für uns getrost an Gott verschenken. „Wenn Gott seinen eigenen Sohn nicht verschont, sondern für uns alle hingegeben hat, wie sollte er uns mit ihm nicht alles geben?“ (Röm 8,32).

Ostern ist also eine innere Revolutionierung unseres ganzen Wirklichkeitsverständnisses. Ostern versetzt uns jedoch nicht in eine neue Wirklichkeit neben der alten. Die neue Wirklichkeit ist vielmehr aus dem Stoff unserer Wirklichkeit gemacht, ist Umwandlung unserer ganzen Wirklichkeit kraft des österlichen Geistes, den Jesus in die Welt gesandt hat. Im neuen Verständnis der Wirklichkeit gibt es nur noch ein Ideal: Gottes Ja zu allen und zu allem. Weil Gott Vater, weil Gott Liebe ist, die alle umarmt, sich an alle verschenkt, öffnet sich das Ja zu Gott allein und wird zum Ja, das die Welt einschließt. Es gibt nur noch ein Interesse: Gottes eigenes Interesse für mich, aber genauso für dich, für die anderen, für alle. Seit Jesus mein Interesse an mir selber zugleich mit dem Interesse aller anderen wahrgenommen hat, können wir unser Interesse loslassen in das größere Interesse Gottes. Und es gibt im neuen Wirklichkeitsverständnis nur noch Verhältnisse, die es liebend zu verwandeln oder liebend auszuhalten gilt, weil sie von Gott her in Jesu Tod und Auferstehung bereits ausgehalten und verwandelt sind. Alles wird Rohstoff für Liebe, Rohstoff für neues Leben. Das ist nicht eine ideologische Lösung der Probleme und Konflikte, sondern eine Ermutigung, sie nüchtern anzunehmen und aufzuarbeiten und darin gerade von innen her die Wirklichkeit neu werden zu lassen. Kreuz und Auferstehung sind die schärfste Alternative zu ideologischer oder gewalttätiger Veränderung der Wirklichkeit.

[15] Dieses neue Wirklichkeitsverständnis ist alles eher als harmlos. Gott hat sich für uns entschieden. Diese Entscheidung ist unser Heil, und dieses Heil hat angefangen in der Verherrlichung Jesu. Heil für den Menschen ist aber Entscheidung Gottes, zu welcher der Mensch sich selber frei entscheidet. Und wir stehen noch in der Zeit der Entscheidung. Auch nach Ostern steht die neue Wirklichkeit noch in Konflikt mit der alten Wirklichkeit in uns. Wirklichkeit bedeutet für uns noch Kampf, damit diese Entscheidung sich durchsetzt in uns und in der Welt. Heil ist für uns noch Heil auf dem Weg, und unser Weg kann kein anderer sein als der Weg Jesu. Daß alles gut ist, muß sich durchsetzen in der Verwandlung und im Ausleiden dessen, was nicht gut ist. Nur so kommt Heil von innen, nur so wird alles von der Wurzel her gut. Die Hoffnung auf die Auferstehung nimmt nicht das Dunkel und die Last des Todes hinweg. Und immer wieder müssen wir erfahren, daß nicht unser Tun und Wollen die Macht haben, die Welt zu vollenden, sondern Gottes gekreuzigte Liebe.

Die Zwielichtigkeit – sagen wir es so – des alten Wirklichkeitsverständnisses wird besonders deutlich an unserer menschlichen Erfahrung von Raum und Zeit. Was sich ausdehnt, Raum gewinnt, wird um so verletzlicher, um so vielfältiger teilbar. Zugehen auf die Zukunft heißt Abschied nehmen von dem, was war, Gegenwart ist der Augenblick zwischen dem Nochnicht und dem Nichtmehr. Kein Augenblick kann festgehalten, keiner kann vorweggenommen werden. Zeitkonserven gibt es nicht. Solche Endlichkeit, solche Ohnmacht bleiben auch im neuen Wirklichkeitsverständnis. Ab er Raum und Zeit sind durch Jesu Tod und Auferstehung von Grund auf verwandelt. Und nirgendwo ist diese Verwandlung so tief wie dort, wo die Früchte dieser Erde und unserer Arbeit, wo Brot und Wein verwandelt werden in [16] Leib und Blut des Herrn, in die Gegenwart der österlichen Wirklichkeit von Kreuz und Auferstehung.

Eucharistie ist in der Tat Verdichtung des neuen Wirklichkeitsverständnisses, und wer erlöste Existenz zwischen Ostern und Christi Wiederkunft verstehen will, der muß auf die Eucharistie schauen.

Sichhingeben für andere heißt in äußerster Konsequenz: Sterben. Sterben aber heißt Abschiednehmen, heißt den allein lassen, für den ich mich gebe. Letztlich kann ich, in der Logik der alten Wirklichkeit, mich nicht so dem anderen geben, daß er wahrhaft und ganz mich empfängt – Übermacht des Abschieds, des Todes. Sterben für einen anderen ist rührender Kampf gegen die je stärkere Endlichkeit bis zum Tod Jesu. Jesu Hingabe aber geschieht gerade so, daß er „ankommt“ beim Vater und „ankommt“ bei uns. Als der Auferstandene lebt er beim Vater und lebt er in unserer Mitte. Was ein für allemal im ersten christlichen Osterfest geschehen ist, ist nicht nur ein Datum, dessen Gedächtnis fortdauert im weiteren Gedächtnis der Geschichte. So oft wir im von ihm gestifteten eucharistischen Mahl uns zu seinem Gedächtnis versammeln, tritt die neue österliche Wirklichkeit in unsere Wirklichkeit ein und verwandelt sie. Sein Opfer, seine Hingabe für uns an den Vater geschieht unter uns und er als der Verherrlichte wird gegenwärtig, durchdringt uns.

So eröffnet sich uns eine neue, eucharistische Zeitlichkeit. Was einmal geschehen ist, die Hingabe Jesu und seine österliche Verherrlichung, rücken nicht von Tag zu Tag mehr ab in eine je fernere Vergangenheit. Jeden neuen Tag, wenn wir wollen, gewinnen sie überall Unmittelbarkeit zu uns, zu unserem Leben, zu unserer Situation. Sicher, auf verhüllte Weise – denn es bleibt uns aufgegeben, mit der Vorgabe der Eucharistie unser Leben und unsere Welt so zu durch- [17] dringen, daß Leben und Welt zum erkennbaren Zeichen des österlichen Heiles werden. Sicher, auf vorläufige Weise – denn nicht wir vermögen den Tag und die Stunde, da der Herr das Zeichen einlöst in der offenbaren und endgültigen Herrlichkeit des himmlischen Hochzeitsmahles. Und doch ist die Zeit des Glaubens bereits schon verwandelte Zeit. Wir leben nicht nur mit einem, der war, und nicht nur mit einem, der kommt, Christsein heißt leben mit einem, der lebt und mit ihm leben heißt, mit ihm für die anderen und füreinander leben.

Zugleich eröffnet sich uns eine neue, eucharistische Räumlichkeit. Ihre Kennzeichen heißen Nähe und Universalität. Weil wirkliches Ankommen im Sichgeben, gibt es wirkliche Nähe; weil Ankommen überall, wo das Gedächtnis des Herrn begangen wird, gibt es universale Gemeinschaft. Die Dialektik des Raumes, der Ausdehnung ist in der Eucharistie gesprengt. Der entzogene Herr ist mir nahe, derselbe Herr bei mir und überall – das überwindet die Distanzen zwischen uns, eröffnet neue Unmittelbarkeit und umfassende Weite.

Wer aus der Eucharistie lebt, bei dem gewinnt die Wirklichkeit neue Dimensionen. Sie heißen, im Bild des Raumes gefaßt: oben, innen, außen und unten. Ihr Oben heißt: freier Zugang zum Vater, Anbetung im Geist und in der Wahrheit als Freimut, mit Jesus Vater unser zu sagen, mit ihm das eigene Leben als Opfer im Geist darzubringen. Wir sind nicht länger gebannt an uns selbst, wir sind befreit von der Ungewißheit, was über uns vorgehen mag, von der Angst vor dem, was über uns ist. Denn in der Anbetung haben wir freien Zugang zu dem, über den hinaus nichts Größeres gedacht werden kann. Das Innen heißt: der Herr in uns, der Herr zwischen uns, wir als sein lebendiger Leib. Es gibt jenen Innenraum, in dem ich inwendiger als mich selber den [18] mich liebenden Gott antreffe. Es gibt zumal den Innenraum als Zwischenraum zwischen dir und mir. Denn der Herr hat sich dir und hat sich mir gegeben. So lebt derselbe in dir und mir, wir werden ein Leib. Es gibt also ein Innen, in dem das, was uns verbindet, stärker ist als alles, was uns trennt. Es gibt Gemeinschaft. Das Außen heißt: Sendung, Hingabe, Dienst an allen, Brotwerden mit dem, der Brot wurde für das Leben der Welt. Denn der, der uns zu einem Leib macht, ist der, der sich für alle hingegeben hat. Und wenn wir in ihm eins sind, dann ist zugleich der Sprengstoff in uns, der uns hinausexplodieren läßt in die Welt. Wir haben den eucharistischen Herrn nur in uns, wenn wir sein Fürsein mitleben. Das Unten schließlich heißt: Annahme des Leidens und Vergehens in der verwandelnden Gemeinschaft mit Jesu Leiden und Sterben.

Anbetung, Gemeinschaft, Dienst, verwandeltes Leid diese Stichworte umreißen nicht nur die innere Fülle gefeierter und gelebter Eucharistie; sie machen wie von selbst deutlich, daß in der Eucharistie der ganze Jesus, das Leben Jesu uns nahe kommt, unser Leben werden will. Sie nehmen uns in die Daseinsbewegung Jesu zum Vater und zur Welt mit hinein. Diese göttliche, diese eucharistische, diese durch Jesus erschlossene menschliche Daseinsbewegung hat einen einzigen Namen: Liebe. Daß Liebe stärker ist, dies ist das neue Wirklichkeitsverständnis.