Neuer Ansatz in Sicht?
„Existentielle“ Welle
Nach dem europäischen Zusammenbruch 1945 begleitete die Menschen eine zweifache Erfahrung in die Zeit des Wiederaufbaus hinein: zum einen die Erfahrung, daß überkommene Ordnungen nicht tragen, ja, daß Ordnungen überhaupt totalitär, unmenschlich oder aber zur leeren Hülse, zur bloßen Fassade zu werden drohen; zum anderen die Erfahrung, daß in der äußersten Gefahr der einzelne auf sich allein gestellt ist, daß aber auch nur der einzelne die Irrungen und Wirrungen zu bestehen und zu überstehen vermag. So traute man Autoritäten, aber auch Traditionen in der Gesellschaft und in der Kirche immer weniger. Man glaubte, sich nicht mehr auf Vorgegebenes, als allgemeingültig Vorgestelltes verlassen [14] zu dürfen. War das eigentlich Tragende nicht viel eher das eigene Gewissen, war das entscheidende Licht nicht jenes, das nur ich in meiner Situation gewinnen kann? Der einzelne, seine Verantwortung und seine Situation wurden zur kritischen Instanz, der einzelne wurde aber auch zum Adressaten, zum Zielpunkt für Staat, Gesellschaft, Kirche. Alles wurde daran bemessen, wieviel es dem einzelnen dient, was es dem einzelnen sagt und bedeutet. Philosophisch gesprochen, wurde das Thema die Existenz und war die Methode die existentielle Interpretation auch der Hl. Schrift.
So wichtig es war, sich wieder darauf zu besinnen, daß der einzelne nie nur Mittel zum Zweck, nie nur funktionierender Punkt in einem System, nie nur „Fall“ eines allgemeinen Gesetzes ist, so Großes auch, menschlich und geistig, aus dem „existentiellen Ansatz“ im Nachkriegseuropa erwuchs, so sehr war es doch von einer inneren Konsequenz getragen, daß das Pendel der Entwicklung wiederum in andere Richtung schlug.