Denken der Grenze – Grenze des Denkens

Exkurs 2: Das Heilige und die Offenbarung*

Es wäre hier fällig, eine philosophische Phänomenologie des Heiligen von Theologie im christlichen Sinne noch genauer abzugrenzen, das Ereignis eines Aufgangs des Heiligen, das in einer philosophischen Phänomenologie artikuliert wird, abzuheben von Offenbarung als der Selbstmitteilung Gottes, die in Jesus ihre Fülle und Endgültigkeit erreicht und die auszulegen Sache der Theologie ist. Theologie ist nicht einfach der Beleg einer Phänomenologie des Heiligen mit Motiven der Offenbarung oder deren Hermeneutik mit Hilfe [27] religionsphänomenologischer Gedanken. Das Ereignis der Offenbarung Gottes, das zusammenfassend und unüberbietbar in Jesus Christus geschieht, ist dieses, nur dieses. Es ist nicht dasselbe wie irgend etwas anderes, läßt sich nicht subsumieren unter eine Kategorie: Begegnungen mit dem Ursprung, Epiphanien des Göttlichen im Horizont von Menschheit und Geschichte.

Aber die Konkretheit (Dieses) und Exklusivität (Nicht) der Offenbarung eröffnen sich nur, indem auch ihre Inklusivität, auch ihre Verhältnisbestimmung zum Denken und allen seinen Erfahrungen ernst genommen wird (Und). In der Offenbarung spricht der im unzugänglichen Lichte wohnende, durch kein Wort und keinen Begriff auszulotende Gott selber sein Und zum Menschen und zum Denken. Nur indem ein göttliches Wort dieses göttliche und ein menschliches wird, geschieht Offenbarung, nur indem ein menschliches und zugleich göttliches verstanden wird, kann Glaube geschehen und sich auslegen. Wenn im Kontext des Welteschen Vortrages über die Grenze das Wort, das am Anfang der Schrift steht, die Grenzerfahrung des Denkens interpretiert, so ist solche Interpretation zugleich die Überbietung der aus dem nur Eigenen möglichen Grenzerfahrung des Denkens. Aber nur indem das schlechterdings Überbietende uns nicht nur aus uns selber setzt, sondern neu in uns selber einsetzt, uns selber identifiziert mit unserer Erfahrung, können wir es als das Überbietende, als Gottes sich selbst erschließende und uns erlösende Zusage verstehen. Philosophie „braucht“ so nicht die Offenbarung und also die Theologie, wohl aber braucht Offenbarung und braucht somit Theologie das philosophische Denken. An der Grenze ist das Übermächtige auf das aus sich selbst Ohnmächtige „angewiesen“, um in diesem Ohnmächtigen aufzugehen und es zu erfüllen. Gerade so aber wird die Ohnmacht als Ohnmacht und zugleich als Gefäß für den Überfluß des göttlichen Sich-Schenkens offenbar. Sowenig Philosophie, wenn sie nur Philosophie bleiben will, Offenbarung und Theologie braucht, sosehr ist das Denken doch zu sich selbst gebracht und in sich selbst erfüllt, wenn das Undenkliche sich ihm zu denken gibt. Das Denken ist nur mit sich selber gleich, wenn es dem gleich wird, was unendlich größer ist als es selbst. Diese Struktur des Denkens erfüllt sich nirgendwo radikaler als in der Inanspruchnahme des Denkens durch die Offenbarung, also in der Theologie. Philosophie in der Theologie ist zum Menschen und so zu sich selbst gebrachte Offenbarung und über sich selbst gehobenes und so zu sich selbst befreites und erlöstes Denken. Der Überschritt von Offenbarung zu Denken wie von Denken zu Offenbarung und somit die Verbindung und Abgrenzung zwischen Theologie und Philosophie geschehen im Und, im Verbindenden der unterscheidenden und identifizierenden Grenze.