Philosophisch-Theologische Reflexionen zum Thema: „Unsere Verantwortung für die Welt von morgen“
Falsche Alternative
Diese Sicht der Welt und der Zeit nötigt uns zu Konsequenzen. Zunächst fragen wir in einem mehr negativen und postulatorischen Gedanken nach unserer Verantwortung, indem wir zwei einseitige Möglichkeiten ausschließen und eine dritte grundsätzliche Möglichkeit anvisieren. Sie wird freilich so „grundsätzlich“ sein, daß dann noch in einem letzten Schritt nach einem positiven Modell weiterzufragen ist. Eines scheint mir unmenschlich und unweltlich zu sein: die totale Sorge als irrationale Panik. Es scheint in der Tat nur eine irrationale Reaktion zu sein, wenn wir uns völlig auf die Rationalität des Voraussehens und Vorausrechnenkönnens verlassen und darüber panisch erschrecken, daß es nur begrenzte Möglichkeiten gibt, und zwar begrenzte Möglichkeiten in einer not-[32]wendigen Disproportion zu unserem endlosen Weiterplanen, Leben-können-Wollen. Es ist irrational, Leben entweder einzustellen oder madig zu machen oder im gegenwärtigen Augenblick zu verunmöglichen, weil vielleicht in tausend Jahren die Menschen nicht mehr leben können. Verständlich, daß, wer nur noch von diesem Gesichtspunkt aus lebt, nicht einmal mehr jetzt leben kann. Wir haben die Welt mit ihrem regenerativen und ihrem unübersehbaren geschichtlichen Charakter nicht mit einkalkuliert, sondern haben eine Welt als ewige Welt, die nur so weitergeht, wie sie jetzt ist, als absoluten Maßstab gesetzt.
Die Attitüde der totalen Verantwortung für die Zukunft, die vielleicht irgendwann und irgendwo einmal stattfindet, der Versuch, die unabsehbare Zukunft insgesamt zum Wohle der Welt aus sich selber leisten zu können, und dann das Verzweifeln vor solcher Überforderung, das erscheint mir wie ein Nachbeben der zu Ende gegangenen Neuzeit.
Freilich muß gesagt werden, daß genauso, wie die Panik der totalen Sorge irrational ist, so auch ein sorgloser Verschleiß der Welt verantwortungsloser Zynismus wäre. Zu sagen, ich lebe nur im Jetzt, und deswegen kümmert mich nicht, was später kommt, ist so irrational wie der scheinbar reine Rationalismus jener spätantiken Formel: „Der Tod findet nie statt. Wenn ich gestorben sein werde, bin ich nicht, und bevor ich sterbe, ist der Tod nicht, also ist der Tod nicht.“ So wenig diese Rechnung rational ist, so wenig ist es rational zu sagen: „Nach uns die Sinflut. Leben wir, wie es uns gefällt. Die Solidarität ist die Solidarität mit mir und denen, die ich deswegen, weil sie gerade gleichzeitig sind, brauche.“ Dies ist Zerstörung und Selbstzerstörung; Selbstzerstörung, weil die Welt, die ich so auslebe und ausgestalte, unmenschlich wird; diese Welt ist im Grunde genommen schon zusammengebrochen, weil sie kein inneres Gefüge hat, in dem die anderen und das Andere ihren Platz hätten.
Was bleibt dann? Gestaltung zwischen Konsum und purer Abstinenz. Welt gestalten, dabei wissen, daß wir, indem wir Möglichkeiten gebrauchen, sie verringern. Der Abiturient, der alles studieren könnte, aber wenn er einmal einen Berufsweg eingeschlagen hat, nicht mehr alles studieren kann und deswegen glaubt, am besten nicht zu studieren, damit er immer noch alles werden kann sein [33] ganzes Leben lang, rechnet offenkundig falsch. Genauso falsch rechnet eben die pure Abstinenz von der Gestaltung, das bloße Leben-Lassen und das bloße „Schützertum“ des Vorhandenen. Allerdings sind der blinde Konsum, das beliebige und planlose Ausbeuten der Ressourcen und das Machen alles jetzt Machbaren ein eher noch gefährlicherer Irrweg. Gestaltung muß riskieren, riskieren, etwas zu verbrauchen, aber sie muß ebenso wagen, nicht alles zu verplanen, sondern zu verzichten, übrigzulassen, weiterzuschauen.