Die Kirchlichkeit des Glaubens und der Theologie
Fazit*
Versuchen wir, aus dem bisher Gesehenen ein Fazit zu ziehen, so ergeben sich zwei Linien.
Die eine Linie: Glaube, Kirche, Theologie sind je aufeinander angewiesen. Bei welchem dieser drei „Partner“ man auch ansetzt, der stringente Vollzug dieses Ansatzes führt zu den beiden anderen Partnern hin, und zwar dergestalt, daß jeder Partner an den anderen Maß zu nehmen hat und ihnen zugleich Maß gibt: Glaube normiert sein theologisches Verstehen und konstituiert die Kirche, setzt ihr Maß; Glaube empfängt sich aber auch von der Kirche, wird von ihr vermittelt, hat sich an ihr zu orientieren, und er hat sich seiner theologischen Selbstbefragung zu stellen und sich der theologischen Selbstreflexion zu bedienen, um sich auszudrücken und zu rechtfertigen. Kirche ist zu vermittelnde und durch die Sendung Christi ausgewiesene Instanz für den Glauben und somit auch für die Reflexion des Glaubens in der [468] Theologie; sie tut ihren Dienst aber nur, indem sie am Glauben selbst Maß nimmt, will sagen an der ihr übergebenen Urgestalt und Grundgestalt von Glauben, aber auch an der Lebendigkeit dieser Ur- und Grundgestalt im Glaubensvollzug ihrer Glieder; Kirche ist schließlich auch angewiesen auf die Theologie, weil ihr Sprechen je theologisches Sprechen ist und sich daher der Theologie bedienen und zu stellen hat. Theologie selbst ist als reflexive Instanz des Glaubensverständnisses unverzichtbar für den Vollzug des Glaubens und die Funktion der Kirche; ihre eigene und kritische Funktion aber kann sie nur von innen, will sagen aus der ungeschmälerten Bindung an den Glauben und an die Kirche leisten.
Besagt dieses Ineinander aller drei Momente, diese Verwiesenheit eines jeden auf jedes im aktiven und rezeptiven Sinn, indessen ein Gleichgewicht, eine Gleichrangigkeit dieser Momente? Diese Frage ist aus dem Dargelegten heraus zu verneinen, und dieses Nein ist in einer zweiten Linie des Fazits herauszustellen: In allen drei Momenten geht es um die Hoheit des sich mitteilenden Gottes, um sein Sich-Schenken und seinen Anspruch in Jesus Christus. Das ist der gemeinsame Grund des Glaubens, der Kirche und der Theologie. Von diesem einen Grund her ordnet sich aber das Verhältnis der drei gezeichneten Momente. Die Entsprechung zum Anspruch und Angebot Gottes in Jesus Christus, die alle drei Momente trägt, ist der Glaube. Er ist das zentrale Moment und ist somit den anderen Momenten vorgeordnet. Der Glaube ist in einem radikaleren Sinn Voraussetzung von Kirche und Theologie, als Kirche und Theologie Voraussetzung der je anderen Momente sein können. Gerade diese führende Rolle des Glaubens aber öffnet ihn über sich selbst hinaus und läßt seinen gemeinsamen und seinen sich lichtenden Charakter, läßt damit aber Kirche und Theologie zur unersetzlichen Funktion für den Glauben werden.
Theologie und Kirche wiederum stehen nicht einfach nebeneinander, erschöpfen ihre Zuordnung zueinander nicht in der Wechselseitigkeit von Voraussetzung und Maßgabe. Zwar wird Kirche nicht ohne die Antwort des Menschen an Gottes Angebot und Zuspruch, diese Antwort selbst aber, die in der Kirche als solcher lebt, erschöpft nicht die Gegenwart des Ursprungs, den [469] Kirche vergegenwärtigt; vielmehr gehört es zum Sich-Geben Gottes hinzu, daß er die Mitteilung seiner Sendung an die Kirche nicht mehr um menschlichen Versagens willen zurücknimmt. In der Kirche lebt so, um des Glaubens willen, um seiner Möglichkeit und Wirklichkeit in der Geschichte willen die Übermacht göttlicher Sendung vor der menschlichen Antwort. Theologie hingegen ist die, zwar vom Geist getriebene und auf ihn angewiesene, aber doch vom Menschen geleistete und auf ihn gestellte Reflexion des Glaubens in den Kategorien menschlichen Verstehens. Sie hat die Gewähr ihrer Verbindung mit dem Ursprung nicht in dem, was sie leistet, sondern darin, daß sie sich glaubend an die Autorität Gottes gibt und auf sie hört. Das hebt die Eigenständigkeit der Theologie nicht auf; sie muß den Glauben an menschliches Verstehen und in ihm „gegenlesen“; sie muß es aber so, daß er als Glaube erhalten bleibt und wächst, und daher ist ihre spezifische Eigenständigkeit gerade die des Sich-Verlassens auf das und des Sich-Lassens an das, was sie aus Eigenem nicht vermag. Um dieses Ärgernis kommt eine Selbstreflexion der Theologie als Glaubenswissenschaft nicht herum. Was solches Ärgernis indessen positiv für die Theologie bedeutet, wie es sie in ihrer eigentümlichen Autonomie stärkt und klärt, dies kann sichtbar werden, wenn wir im folgenden auf die eine Sache von Glaube, Kirche und Theologie in sich selber achten.