Endgültigkeit und Offenheit

Fazit

Was erbringen die theologischen Grundaussagen zu Endgültigkeit und Offenheit christlicher Wahrheit für die konkreten Möglichkeiten des Dialogs?

3.1 Der Dialog zwischen Christentum und anderen Weltanschauungen braucht die Grundlagen und Grundfragen des Unterschieds nicht auszuklammern. Der Christ kann zwar diese Grundlagen nicht zur Disposition stellen. Er braucht es aber auch nicht; denn er hat die Zuversicht, daß das spezifisch Christliche, daß die Endgültigkeit der Zusage Gottes in Jesus menschliche Wahrheit, wo immer sie sich findet, nicht verkürzt, sondern an sich selbst freigibt. Daraus folgt allerdings noch keineswegs sofort eine direkte, den Dialog verderbende „Bekehrungsabsicht“. Denn gewiß möchte der Christ seine Wahrheit nicht für sich allein behalten, gewiß glaubt er, daß Gottes Zusage sich als Anspruch und Geschenk an alle Menschen richtet – davon kann er nicht absehen, dies kann er als seine Überzeugung redlich nicht verschweigen. Dennoch weiß er, daß nur die Freigabe des anderen an seine eigene Freiheit der Weg sein kann, auf dem dieser Zugang findet zur Freiheit des sich verschenkenden Gottes, Und zu- [23] dem weiß der Christ, daß nicht er und nicht sein Argument den anderen „bekehrt“. Grund des Glaubens sind, nach christlichem Selbstverständnis, nicht die Argumente für die Glaubwürdigkeit christlichen Glaubens, Grund ist vielmehr der sich aus eigener Hoheit gewährende und öffnende Gott. Das hat freilich zur Konsequenz, daß dem Christen im Eigentlichen seiner Grundüberzeugung eine konstitutionelle „Wehrlosigkeit“ im Dialog zukommt. Er kann zwar Gegenargumente entkräften, er kann zwar vorweisen, wieso andere Sichten des Menschen, der Welt und Gottes nicht das Recht haben, sich absolut zu setzen, er kann zwar aufdecken, worin ihm die überzeugende Macht der Zusage Gottes in Jesus begegnet ist und wie Erfahrung und Erwartung des Menschen dem entgegenkommen; argumentativ den Glauben herstellen, zwingend das Ja des Partners sicherstellen kann er nicht.

3.2 Ist der Dialog dort aus, wo er offensichtlich nicht zum Einverständnis in den Grundüberzeugungen zu führen vermag? Und darf er dort in christlicher Sicht gar nicht mehr stattfinden, wo die Grundüberzeugung gar nicht zur Sprache kommen kann, weil ein Partner sie ausgeklammert wissen will? Wenn Theonomie die Autonomie welthafter Daseinsbereiche nicht ausschließt, wenn christlicher Glaube die Unbefangenheit gegenüber allem, was sich zeigt, gerade eröffnet, dann ist es möglich und sinnvoll, auch über eingegrenzte Sachfragen, zumal über Chancen und Aufgaben des gegenseitigen Verhältnisses und gemeinsame Aktionen, miteinander zu sprechen. Daß der aufs „Pragmatische“ oder aufs „Vorletzte“ begrenzte Dialog von den Partnern innerhalb ihres Grund- und Gesamtverständnisses der Wahrheit verantwortet werden muß, daß ein abstraktes und totales Ausscheiden der Frage nach den Grundüberzeugungen hieße, sich selbst nicht in den Dialog einzubringen, muß freilich gesehen werden. Es kann sogar der Fall sein, daß die Partner vom Dialog selbst ein unterschiedliches Verständnis haben; wenn sie um dieses unterschiedliche Verständnis wissen und im Wissen darum die gemeinsame Basis finden, auf der sie die Differenz der Verständnisse gegenseitig zu achten vermögen, so schließt dies den Dialog nicht aus.

Natürlich ist hier immer die Rede vom Dialog zwischen den Weltanschauungen; was von ihm gilt, kann nicht ohne weiteres auf die Institutionen als solche übertragen werden, die derlei Weltanschauungen repräsentieren. Wenn derlei Institutionen beispielsweise die freie Entfaltung der Anhänger einer anderen Weltanschauung mit offener oder versteckter Gewalt unterbinden, kann dadurch die Situation des Gesprächs derart ausgehöhlt werden, daß der Dialog zwischen den Institutionen hier und jetzt zur reinen Farce würde. Die grundsätzliche Offenheit des Christen, sich dem Dialog mit einer anderen Weltanschauung zu stellen oder, um es mit dem ersten Petrusbrief zu sagen, „immer bereit zu sein zur Antwort einem jeden, der uns um Rechenschaft über die Hoffnung bittet, die in uns ist“ (1 Petr 3,15), wird dadurch nicht berührt. Im Extremfall bleibt dem Christen freilich nur noch das Zeugnis; aber auch dieses Zeugnis hat im Innersten dialogischen Charakter, weil es die Situation dessen übernimmt, dem es Zeugnis gibt.

3.3 Gerade die Endgültigkeit christlicher Wahrheit läßt vom Christen her den Dialog nie am Ende sein; denn die innerste Tiefe seines Glaubens enthüllt ihm jenen Dialog, der nie am Ende ist: den Dialog, der zu Gott selbst gehört, die Antwort, die das Wort Gottes, die der Sohn dem Vater ohne Ende und Grenzen bedeutet. Diese Antwort ist nicht nur transzendentes Geheimnis, sie wurde inmitten der Welt und der Geschichte gegeben: Am Kreuz sagt der Sohn sein Ja zum Vater aus der äußersten Entfernung, aus der radikalsten Frage, aus der äußersten Fremde und Verlassenheit. Dieses Ja zum Vater aus der Situation des gottentfremdeten Menschen ist zugleich Gottes unwiderrufliches Ja zum Menschen. Dort, wo der Dialog äußerlich nicht mehr weitergeht, dort, wo der Christ sich nicht mehr verständlich machen kann, dort, wo er auch selbst nicht mehr verstehen kann, zieht er sich nicht zurück. Er gibt sein Verstummen, seine schweigende Ohnmacht dem Ja anheim, das stärker und größer ist als sein Wort.