Theologie als Nachfolge
Fazit für eine theologische Logik
Wie läßt sich nun der Ertrag bonaventuranischer Auferstehungslogik für unser Verständnis der Auferstehung und für unsere Probleme einer theologischen Logik zusammenfassen? Auferstehung ist im Sinne Bonaventuras unzerreißbar in drei Positionen und in vier Bewegungen zu situieren: Einmal ist Auferstehung Geschehen, das Jesus Christus selbst betrifft, sie ist seine Auferstehung; zum anderen ist Auferstehung Geschehen für uns, das ein Geschehen an uns antizipiert; zum dritten ist Auferstehung ein Geschehen, das – ohne aufzuhören von sich her zu sein – doch auf uns zu, auf unser Bekenntnis zu ist, Geschehen, das in unserem Bekenntnis, in unserem Zeugnis, im Kerygma ankommt; es ist erst ganz es selbst, wenn es zugleich, als eines und dasselbe, in sich und in uns da ist – Bekenntnis, Zeugnis, Kerygma gehören zur Identität von Auferstehung hinzu. Diese drei Positionen markieren vier Bewegungen: Auferstehung spielt in der Bewegung Jesu auf den Vater zu – in der Bewegung Gottes in Jesus auf uns zu – in unserer Bewegung der Nachfolge, die sich zur Teilhabe verwan- [93] deln wird – in unserer Bewegung zur Welt, indem Auferstehung durch unser Bekenntnis bezeugt und weitervermittelt wird. Damit aber gehört Auferstehung zugleich zu dem Evangelium, das bezeugt wird, und zu der Nachfolge, die es bezeugt; sie gehört zugleich, als die ihre Gegenwart bestimmende Zukunft, zur Existenz und zur Welt, die in der Nachfolge vom Evangelium her zu verifizieren und zu integrieren sind, und zur schon gegebenen Gegenwart des auferstandenen Herrn in seinem Evangelium, so daß Nachfolge sich auf den wahrhaft Auferstandenen jetzt schon einläßt; Auferstehung gehört schließlich sowohl in die Interpretation aus der Nachfolge wie auch in das ihr anheimgegebene und doch unverfügbare Evangelium selbst. Alle Reduktion, die Evangelium, Nachfolge, Existenz oder Interpretation isoliert und absolutsetzt, verkürzt Auferstehung; dasselbe gilt von jener Einebnung der Auferstehung in den gleichmäßigen Strom heils- und weltgeschichtlicher Ereignisse, die anstelle des unerwartbaren, unerdenkbaren Sprungs die bloße Konsequenz einer linearen Logik setzt. Die Logik der Auferstehung bei Bonaventura ist freilich Logik, bei der die Konsequenz „logischerweise“ nicht notwendig, sondern gerade Geschenk ist, Geschenk, das die Übergröße der schenkenden Liebe des Ursprungs gerade darin einholt, daß es eben im Effekt mehr schenkt, als jeder Anspruch, jede Erwartung, jede Schlußfolgerung zuließe, so daß die Logik der Liebe im je größeren Schluß die je größere Voraussetzung offenbart. Solche Logik ist wehrloser als bloße Logik, weil Liebe eben nicht so zwingt, wie bloße Notwendigkeit zwingen kann; sie bewegt aber zugleich mehr, weil sie Logik der sich selbst übertreffenden, der sich selbst verschenkenden Bewegung ist, vor der jedes Sich-entziehen-Wollen beschämt wird, jeder Rückzug auf bloße Logik Ausrede, Verrat ist. Eine Logik der Auferstehung ist so eine Logik des Komparativs: Im Menschen Jesus ist mehr, als was sein Menschsein uns zeigt. Im Sohn Gottes ist mehr, als was sein Gottsein als solches sagt. Kreuz ist mehr, als was zu unserer Erlösung notwendig, Auferstehung ist mehr, als was im Kreuz schon enthalten ist; Aufer- [94] stehung ist mehr als nur die Auferstehung Christi; ihr Geschehen ist mehr, als was unsere Botschaft und Nachfolge von ihr ans Licht bringt; aber auch unsere Botschaft und Nachfolge ist mehr als bloß die Fixierung und Konservierung des Faktums Auferstehung. Vielleicht lassen sich von der inneren Stringenz dieses Mehr, dieses Komparativs auch jene Partien und Dimensionen des bonaventuranischen Gedankengangs für unser heutiges Verstehen aufschlüsseln und übersetzen, die uns aufs erste fremd ankommen: daß unsere geschichtliche Situation der Endlichkeit und Sterblichkeit „mehr“ ist als Konstitution von Existenz und Welt, daß die Menschheit Jesu und sein Tod mehr sind als das Schicksal eines einzelnen Menschen plus Solidarität mit allen anderen. In einer Logik der Liebe wird Bonaventuras These von der Urbildhaftigkeit des Logos für die Schöpfung mehr als metaphysische Spekulation; sie wird Ausdruck des Geheimnisses Gottes, das sich selbst als verschenkende Liebe, als Offenheit zu seinem Anderen interpretiert und so auch Stellvertretung verstehbar macht, in welcher es wirklich unser Leben und unser Tod sind, die von Jesus gelebt und gestorben werden. Logik der Liebe – vielleicht die einzige Chance, das Evangelium unverkürzt zu wahren und zugleich je neu zu übersetzen.