Gesprächsführung
Folgerungen für die Gesprächsführung
- Für die Gesprächsführung als Funktion, als Rolle ergeben sich aus dem Wesen des Gesprächs Hinweise. Wenn sie Ausdruck des Geschenkes ist, von dem das Gespräch eigentlich geführt wird, so ist sie eine „Kunst“, in welcher das Gelingen aus unverfügbarer Gabe und sich fügendem Gehorsam zugleich erwächst. Sie setzt dennoch lernende Aneignung ihrer technischen Grundlagen und methodischen Einübung voraus.
a) Man kann ein Gespräch wünschen, es suchen und erhoffen, aber willentlich machen kann man es nicht, es ergibt, es gibt sich. Die personale und vom Christen zumal stets zu erwartende Voraussetzung des Gesprächs – er erwartet in jedem den Partner schlechthin, Christus, den Bruder – ist die Bereitschaft, den anderen anzunehmen und auf ihn hörend einzugehen. Damit aber unter mehreren in der Tat auch ein Gespräch wachse, ist in der Regel eine Weise der Gemeinsamkeit erfordert, die unterhalb des eigentlichen Gespräches liegt, aber zu diesem stets offenbleiben sollte: die Diskussion.
Bei ihr geht es um die Sache, und alle Teilnehmer sind sich darin einig, diese Sache in sich und für alle so klar wie möglich zur Sprache bringen zu wollen. Die Gemeinsamkeit ist ihr nicht der sich selbst genügende Sinn, sondern Mittel zur Gewinnung des [425] sachbezogenen Ergebnisses. Gleichwohl meldet sich im gemeinsamen sachlichen Interesse und in der Rücksicht, die es allen Partnern gegenüber zu nehmen gilt, der verborgene Anfang des Gesprächs, das Zusammengehören in eine vor-sachliche Einheit. Wer ein Gespräch führt, hat zuvor also meist eine Diskussion geleitet. Er muß sich auf die Diskussionsleitung und auf das „Unterscheidende“ des Gespräches verstehen. Diskussionsleitung hat nun die Aufgabe, die Beiträge der Teilnehmer bei der Sache und bei jenem inneren und äußeren Maß zu halten, das sowohl der Erörterung der Sache wie dem Klima der Diskussion zuträglich ist. Hierfür sind folgende Eigenschaften zu üben: das organische Sachverständnis, d. h. Erkenntnis des „Nervs“ einer Frage und ihrer Gliederung in eine Folge von Teilfragen; der Takt, der so jedem einzelnen gerecht wird, daß dadurch nicht die Sache, und so der Sache, daß dadurch kein einzelner verletzt wird; die Gabe der Übersetzung, die das, was der einzelne sagen will, allen hörbar macht, und der Unterscheidung, die das Sachdienliche aus jedem Beitrag so herausschält, daß er Beitrag des anderen, des Teilnehmers bleibt. Führung ist auch hier um so vollkommener, je weniger sie als solche hervortritt.
b) Wer ein Gespräch führt, muß jedoch mehr als ein guter Diskussionsleiter sein. Wie schon gesagt, muß er alle Partner „angenommen“ haben, und mehr noch: er muß es sich selbst um das gehen lassen, worum es ihnen im einzelnen und im ganzen geht, für sich selbst aber den Verzicht leisten, im Gespräch nicht die eigenen Fragen und Meinungen hochzuspielen und doch als er selbst, den anderen dienend, dazusein. Während er als Diskussionsleiter darauf achtete, die Beiträge bei der Sache zu halten, ist er jetzt angerufen, die Sache beim Gespräch, bei der Offenheit aller zu allen, zu halten und auf den Augenblick hin wachsam zu sein, in welchem das Gespräch die „Sache“ vielleicht gar übersteigt und wesentlicher wird, als wenn es nur bei der Sache geblieben wäre. Für die bloße Diskussion wäre solches ein Abgleiten, für das Gespräch ist es Gewinn. Gesetz des Gespräches ist die „Sache“ nur, solange sich die Einheit und Freiheit aller auf sie sammelt; Einheit und Freiheit aller ist allein sein unbedingtes Gesetz; und die höchste, nur zwanglos mächtige Macht der Gesprächsführung ist die: die Einheit aller für die Freiheit jedes einzelnen, die Freiheit jedes einzelnen für die Einheit mit allen offen zu halten. [426]
- Beim helfenden oder pädagogischen Gespräch heißt Gesprächsführung zugleich Menschenführung. Was sie erfordert, läßt sich leichter von der Reaktion des „Geführten“ als von der Aktion des Führenden her sagen; denn Führung mißt sich an der Freiheit, in der sie angenommen wird, und an der Selbständigkeit, zu der sie führt. Wo das helfende Gespräch gelingt, geschieht ein Vierfaches:
a) Der „geführte“ Partner erkennt, daß er nicht oder doch so nicht weiterkommt, gewinnt zugleich den Willen, weiterzukommen, und die Bereitschaft, Hilfe am rechten Ort einsetzen zu lassen.
b) Er schöpft Vertrauen zu dem – alsdann – „führenden“ Partner. Dieses Vertrauen kann nicht hergestellt werden; daß es erwacht, ist jedoch Voraussetzung des Gespräches, oft auch der Einsicht in die eigene Hilfebedürftigkeit. Es ist Vertrauen sowohl zum „Du“ des Partners, d. h. Vertrauen, das sich von ihm angenommen und bei ihm „aufgehoben“ weiß, Wissen, daß er gut ist und es gut meint, als auch Vertrauen zu seiner Befähigung, den sachlich rechten Rat und die gemäße Hilfe zu geben.
c) Aus Vertrauen und Selbsterkenntnis wächst der Entschluß, von sich aus dem Rat zu folgen, die Hilfe durch persönlichen Einsatz zur Selbsthilfe werden zu lassen, die Anverwandlung des Geglaubten und Angenommenen in Einsicht und selbsttätiges Verständnis, schließlich die Kraft, von sich her aus demselben zu schöpfen und zu leben, woraus auch der Führende schöpft und lebt.
d) Das vollendende Vertrauen tritt ein: selbst entscheiden und handeln zu können und dem anderen ein Partner zu sein, den dieser nicht nur annimmt, sondern von dem er seinerseits auch „etwas“ annimmt. – Formal verkürzt, „sagt“ der Geführte im helfenden Gespräch: 1. Ich brauche etwas. 2. Ich brauche dich. 3. Ich kann nun selbst. 4. Du kannst jetzt auch mich brauchen.
Aus diesem Gang des Gespräches, der freilich, weil eben Gespräch, nicht erzwingbar, sondern das Geschenk des „Wir“ ist, das den Einsatz beider verlangt, ergeben sich auch für den Führenden vier grundsätzliche Anforderungen:
Seine Bereitschaft darf sich nicht darin erschöpfen, helfen zu wollen, um sich nachher zu lösen und weiterzugehen. Führung als Hilfestellung soll sich überholen, nicht aber die Partnerschaft des Gespräches. Diese muß sich u. U. allerdings darin bewähren, daß [427] der Helfende wieder „freigegeben“ wird, daß der andere ihn nicht für sich behalten will. Anderseits muß der Führende im Ernst damit rechnen, auch vom Geführten zu „empfangen“.
Wir dürfen uns nicht nur von Gott, sondern auch vom Menschen, der ja Gottes Bild ist, „kein geschnitztes Bild“ machen, um dasselbe anzubeten. Helfendes Gespräch setzt also nicht an bei dem Bild, wie der andere wirklich oder vermeintlich sein sollte oder könnte, sondern immer mit dem liebend „hörenden“ Verstehen, wie er ist. Psychologische oder soziologische Erkenntnisse machen den Menschen nicht „einstufbar“, sie dürfen nur helfen, ihn an sich selbst unmittelbar an- und ernst zu nehmen. Von „innen“, von der Situation des anderen aus muß die Spannung zwischen Wirklichkeit und Ideal gesehen und sichtbar gemacht werden. Nur dadurch, daß ich den anderen besser verstehe, als er sich selbst versteht, und daß er dies erkennen und anerkennen kann, vermag er sich zu „öffnen“, um sowohl Einsicht in seine eigene Situation als auch Vertrauen zu mir zu gewinnen.
Der Führende darf nicht nur etwas, er muß sich geben. Für den Menschen ist Etwas immer zu wenig. Umgekehrt muß sich die Bereitschaft, sich selbst dem anderen aufzutun, mit sich selbst für ihn einzustehen, zunächst darin bewähren, daß die benötigte Sache, der sachgerechte Rat und die sachdienliche Hilfe gegeben werden. Oftmals will der Hilfebedürftige nur „etwas“, und hier ist geboten, in der sachlichen Bedürftigkeit die personale Not durch personalen Einsatz freizulegen; oftmals gilt es aber auch umgekehrt, aus bloßer Anhänglichkeit oder Zutraulichkeit durch ein äußerlich „sachliches“ Verhältnis zur Selbständigkeit zu führen, die für personales Gespräch den Grund legt.
Bereitschaft, Hingabe, Öffnung sind alles eher als Aufdringlichkeit. Gerade wer sich hingibt, wird dadurch „unsichtbar“, wird der Raum, in welchem der andere aufgehen, die „Luft“, in welcher er frei atmen, er selbst sein kann – nur wenn ich nichts für mich fordere und erwarte, kann ich als ich selbst angenommen werden, Vertrauen wecken. Der Geführte soll den Führenden nicht als zusätzliche Last zu seiner eigenen zu tragen haben, er soll sich finden – und mit sich findet er allenfalls auch mich, wenn uns beide die Gabe des Gespräches findet. [428]
Schrifttum: Buber, Martin, Schriften über das dialogische Prinzip, Heidelberg 1954 – ders., Reden über Erziehung, Heidelberg 1960 – Hemmerle, Klaus - Welte, Bernhard - Lange, Hans Joachim, Gespräch ohne Partner (in der Reihe: Das pädagogische Gespräch), Freiburg 1960 – Loofs, Maria, Zur Methodik des helfenden Gesprächs (mit Literaturangaben), in: Bohle, Cilly, Sozialer Dienst als menschliche Begegnung, Freiburg 1962.