Gerufen und verschenkt. Theologischer Versuch einer geistlichen Ortsbestimmung des Priesters
Fürbitte
Sie ist schon drinnen in der Liturgie, sie ist schon drinnen in der Kontemplation, und doch hat sie ein eigenes Gewicht und setzt einen eigenen Akzent: die Fürbitte. Es fällt mir immer wieder auf, daß die eindringlichste und vielleicht auch häufigste Bitte, die ich höre, manchmal von Menschen her, bei denen man es nicht vermuten würde, lautet: „Beten Sie für mich!“ Es ist wohl überflüssig – oder doch nicht ganz? –, darauf hinzuweisen, daß es eine der ärgsten Verkehrungen des christlichen Gottesbildes ist, wenn wir mit dem Blick auf die Wirksamkeit der Zweitursachen, die Gott ernst nimmt, oder auf die Vorsehung, die ohnehin schon alles geregelt hat, die Fürbitte zu einer bloß moralischen Anstalt degradieren, die uns zur Ergebenheit in Gottes Willen oder doch zur gelasseneren Annahme des Unabänderlichen bewegen kann, die aber nichts „verändert“. Hat Gott nicht durch seine Liebe zu uns alles von Grund auf verändert, indem er seinen Sohn hingab und uns seinen Geist schenkte? Hat er uns nicht angesehen und sich unser erbarmt? Was wäre unser Glaube, wenn dies nicht so wäre? Und die Liebe, in welcher er uns seinen Sohn sendet und seinen Geist gönnt, diese Liebe sollte sich nicht im Sohn und im Geist „gleichzeitig“ gemacht haben mit uns, so daß er uns hört, uns begleitet, mit uns geht? Es sollte ihm nicht zu Herzen gehen, was wir ihm zu sagen haben? Der große Gott, der sich klein gemacht hat, er hat sich erst ganz klein und zugleich ganz groß gemacht, indem er nicht nur der Gott der Impulse, der Maßstäbe, der Dispositio-[112]nen ist, sondern der hörende und er-hörende Gott. Wir sollten es ihm Zutrauen, wir sollten uns darauf einlassen. Sicher, im Vollzug einer Fürbitte, die wirklich ihm alles übergibt, wird unserem Bitten etwas widerfahren: Wir werden die Enge und Torheit unserer Maßstäbe und Vorstellungen einbüßen; werden dem weiteren und weiseren Herzen Gottes ähnlich werden; werden jenen schmerzhaften Prozeß mitmachen, den er uns in seinem Sohn eröffnet, sozusagen vorgelebt hat: Heil ist nicht Reparatur des Unheils, sondern Ausheilen des Unheils von der Wurzel, Ausleiden vom Grund her. Doch wenn wir uns auf diesen Prozeß einlassen, dann brauchen wir uns nicht zu wundem, daß auch die Wunder dessen keineswegs spärlich sind, was er uns „dazugibt“ (vgl. Mt 6,33). Wir werden das Herz eines Vaters entdecken, der auch die lächerlichen und kleinen Wünsche der Kinder nicht verachtet. Wir leben erst mit Gott, wenn wir als Bittende mit ihm leben. Fürbitte hat freilich noch einen anderen Akzent, der sich vom ersten nicht trennen läßt: Zuwendung zum in der Welt gegenwärtigen Gott, zum leidenden Christus in seinen Schwestern und Brüdern. Wir müssen die Bitte des leidenden und hilfesuchenden Christus in den Nöten und Ängsten, Spannungen und Dunkelheiten dieser Welt wahmehmen und ernst nehmen, seine Fürbitte an uns. Wenn sie uns bewegt; wenn sie uns herausfordert auch zur Tat, auch zum Handeln ; wenn wir uns bitten lassen vom hilfesuchenden Christus, dann erst erhält unsere Fürbitte zu ihm ihren Sitz im Leben. Erst wenn unsere Hände bereit sind, alles zu geben, sind sie zugleich so leer und leicht, daß wir sie für die anderen zu dem Christus über uns zu erheben vermögen, damit er unsere leeren Hände und die leeren Hände der anderen mit den Gaben und Kräften erfülle, die wir aus uns nicht haben und nicht geben können. Mir ist die Fürbitte für jene, die mir begegnen, die mir nahe sind, die mir, wie auch immer, aufgegeben sind, für die ich [113] dazusein habe, weil sie mein Leben getroffen und gestreift haben, mit das Wichtigste. Ich habe mir eine ziemlich lange Namensliste zurechtgelegt, die mich jeden Tag begleitet, auf daß Fürbitte konkret sei. Mit den anderen, mit den Menschen, die mir so verbunden sind, vor Gott hintreten, das erst macht mich real gegenwärtig in Gott und Gott gegenwärtig in mir und meiner Welt. Fürbitte erschließt mir den Himmel im Außen, in der Welt. Jene, für die ich Fürbitte einlege, sind die Partner meines Himmels; sie sind schon jetzt mit den goldenen Fäden seiner Liebe mit mir verbunden. Wenn ich sie zum Vater trage im Sohn, bauen sich zwischen ihnen und mir die Straßen der Neuen Stadt. Und da bin ich noch bei einer weiteren Schicht von Fürbitte: Sie übergreift das Hier und Jetzt der gegenwärtig erfahrbaren Welt, reicht hin zu denen, die vor mir waren und die jetzt in Gottes Leben weilen. Sie gehören dazu. Immer wieder betrifft mich das Wort der kleinen heiligen Theresia, daß wir im Himmel keinem gleichgültigen Blick begegnen werden, weil wir unsere Gnade einander verdanken. Gott ist keine elitäre Persönlichkeit, der man sich nur durch Vorzimmergeschöpfe zu nahen vermag. Er hört die besonders Armen, besonders Kleinen, besonders Niedrigen und Häßlichen sogar besonders gerne. Ich brauche mich nicht zu genieren, unmittelbar zu ihm zu gehen. Aber mit dem Herzen derer, die ihn vor mir und mit mir lieben; mit dem Herzen derer, die ihn mehr lieben, als ich es jetzt vermag, mich zu verbinden, in Gemeinschaft mit ihnen zu ihm zu gehen, in die universale Kommunikation seiner Liebe einzutreten: das entspricht genau der Logik seiner Liebe, das entspricht dem „Lebensstil“ seines Himmels. Wenn ich mich einlasse auf den Glauben anderer, mich tragen lasse von der Liebe anderer, mich verbinde mit der Liebe anderer, so bin ich mehr in ihm, der die Liebe ist – zu mir und zu allen. Und gerade darin vollendet sich seine Größe, daß er seine Geschenke nicht nur [114] zum Haben, sondern auch zum Schenken weiterschenkt. So lasse ich mich, alle Geschenke allein ihm verdankend, gerne auch beschenken von Maria, den Engeln, den Heiligen, jenen, die mir nahe waren und jetzt nur noch mehr nahe sind, indem sie ihm ewig nahe sind. Fürbitte, in der Tat, verbindet Himmel und Erde und verwandelt Erde, gerade in aller Not und Vorläufigkeit, schon jetzt in ein Stück Himmel.