Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken und die Diözesen

Funktion der „mittleren Einheiten“

Für ein solches Gespräch, in welchem sich Eigenständigkeit und Vielfalt „von unten“ und Ordnung, Zusammenhang und Einheit des vielfältigen Gesamten „von oben“ begegnen und befruchten, ist das von besonderem Belang, was hier die „mittleren Einheiten“ genannt wurde.

[99] Was heißt das? Es sei zunächst in abstrakter Allgemeinheit gesagt, weil es sich auf verschiedenem Niveau, im Blick auf verschiedene regionale Größenordnungen bis hin zur Weltkirche dynamisch gleichartig wiederholt: Das Leben des Glaubens und aus dem Glauben bricht auf, hat seinen „nächsten“ Raum jeweils in der kleinsten Einheit. Es muß sich aber bewähren im Ganzen und für es fruchtbar werden. Im umgreifenden Ganzen hat es sowohl die „Adresse“, an die es seinen Impuls zu richten hat, damit er dort fruchtbar werde für die vielen; es hat dort aber auch sein Richtmaß, an welchem sich entscheidet, wie fruchtbar es zu sein vermag, wie tief es dem einen Geist entspricht, der immer größer ist als die nur einzelne Gabe; mit ihm muß sie übereinstimmen, um sich als Gabe zu bewähren und nicht nur festgehaltener, den Geist verfremdender Eigenbesitz oder gar Selbsttäuschung, bloße Anmaßung zu sein. Wo nun die „kleinste“ Einheit und das Leben des Ganzen, in das sie einzubringen ist, in ihrer funktionalen oder räumlichen Konkretisierung weit auseinander liegen, da wird die Kommunikation erschwert. Es ist notwendig, sich in der Mitte zu treffen, auf dem – der räumlichen oder funktionalen Struktur nach – „halben Weg“, eben: auf der mittleren Ebene. Diese mittlere Ebene, dieser halbe Weg ist jeweils dort, wo die Ursprünglichkeit des an der Peripherie Aufbrechenden sich noch als solche zu artikulieren vermag, wo aber auch die Ursprünglichkeit des Ganzen als solche, der besonderen Sicht und Verantwortung, zu welchen der Standort beim Zentrum des Ganzen befähigt, ebenfalls noch als Ursprünglichkeit greifbar werden kann. Die mittlere Einheit muß also dort angesiedelt werden, wo die Ursprünge des Zentrums und der Peripherie füreinander spürbar und artikulierbar werden, wo sie in Ruf- und Reichweite zueinander sind. Wo liegen nun – in der räumlichen Dimension – die Kristallisationspunkte für die Bildung mittlerer Einheiten, die diese Funktion erfüllen? Man kann vor allem – wenn auch nicht allein – wohl Gemeinde und Bistum als die unmittelbare, nächste Lebenseinheit in der Kirche sehen. Die Gemeinde bedarf in unseren mitteleuropäischen Größenverhältnissen der „Vermittlung“ zum Bistum in der Region, die in heutiger Pastoralplanung mehr und mehr an Bedeutung gewinnt. Das Bistum selbst bedarf indessen noch dringlicher der Vermittlung zur Gesamtkirche durch Zusammenschlüsse im Bereich der nationalen Bischofs-konferenz. In nationalen Bischofskonferenzen zeigen sich ihrerseits, wiederum Tendenzen zu übernationalen Zwischenstufen für den gesamtkirchlichen Dialog. Es liegt in der Konsequenz des II, Vaticanum, das die Kollegialität [100] der Bischöfe miteinander und mit dem Papst ans Licht hob1, daß hierdurch auch die mittleren Ebenen – konkret: die Bischofskonferenzen – an Bedeutung gewinnen. Ihre gesamtkirchliche Funktion ist nicht zuletzt die genannte: Stätten der Übersetzung zu sein, die den Impuls von unten als Element ins Gesamt der Kirche einbringt und die gemeinsame Ordnung des Ganzen in die konkreten Verhältnisse vor Ort überträgt. Es geht dabei nicht um den blassen Kompromiß, sondern – im Ganzen wie im Einzelnen – ums reichere Leben.

In der lokalen Dimension erschöpft sich indessen die Notwendigkeit und Funktion mittlerer Ebenen keineswegs. Nicht nur räumlich gesehen ist die Kirche das Ineinander und Zueinander vielfältiger Traditionen und Aufbrüche in einem umgreifenden Gesamten. Auch qualitativ gilt dasselbe dynamische Prinzip von Einheit und Vielfalt. Ein Geist in vielen Gaben und Diensten, die füreinander und die miteinander fürs Ganze da sind – so baut sich Kirche überall auf, in der Gemeinde, im Bistum, in der Welt. Überall bedarf es hier auch der gemeinsamen Ebene, auf welcher die vielen Gaben und Dienste miteinander zum Gespräch und zur Wirkung und so auch zur Geltung und Wirkung im jeweiligen Gesamten, zum Austausch mit ihm kommen. Die vielerlei Gaben und Dienste in der Kirche sind aufeinander verwiesen, und das heißt: auch das Leitungsamt und die anderen Gaben und Dienste sind aufeinander verwiesen zu Dialog, Kooperation und Koordination. Sie brauchen die Reichweite und Rufweite füreinander, das gegenseitige „Entgegenkommen“.

Für die räumlichen mittleren Einheiten hat dies aber ebenfalls Rückwirkungen: Mit Bischofskonferenzen allein ist dann nämlich der Kontakt der Kirchen vor Ort miteinander und mit der Weltkirche noch nicht erschöpfend gewährleistet. Auch die vielen Berufungen und Dienste, die überall zum lebendigen Leben der Kirche gehören, bedürfen der Fühlungnahme, des Gesprächs und der Ergänzung in übergreifenden Zusammenhängen. Es wäre kurzschlüssig, daraus die schematische Forderung zu erheben, alle Initiativen und Aktivitäten, alle repräsentativen und kooperativen Organe und Gremien, die es irgendwo gibt, müssten geradlinig bis zum Zentrum der Gesamtkirche nach oben hin weitergeführt werden. Es bleibt jeweils von ihrer konkreten Aufgabe fürs Einzelne und fürs Gesamte her zu fragen und zu entscheiden, wie sie einzubringen sind in jenes Gespräch, in welchem das Ganze und das Einzelne einander stützen und auferbauen. Wichtig scheint jedoch, daß grundsätzlich auch jene Dimensionen kirchlichen [101] Lebens, die sich nicht in der Verfaßtheit der Kirche durchs Leitungsamt erschöpfen, in diesen Dialog einmünden.


  1. Vgl. z. B. Lumen Gentium Nr. 21, 22, 23. ↩︎