Oikonomia

Geheimnis und Geschichte*

Wenn Architektur aber aus diesen drei Schichten sich webt: Funktionalität, Gestalt und Spiegelung, dann waltet in ihr eine innere Nähe zu dem, was wir über οἰκονομία als eine theologische Grundkategorie wahrnahmen. Ein „Mysterium“, eine tiefste und innerste Sicht des Menschen und der Welt werden hineingebaut in die Dienlichkeit, in die Nützlichkeit, in die Gesetzmäßigkeit sich in Raum und Zeit verfassenden und behausenden Lebens. Und so gerinnt das Mysterium zur Gestalt, und in der Gestalt ragen das Leben, die Alltäglichkeit, die Geschichte hinein in ihren erhellenden und tragenden Sinn.

Der Architekt soll keineswegs in sein Bauen etwas „hineingeheimnissen“, er soll gut und zweckdienlich bauen – aber wissend, welches Bild des Menschen [308] und der Welt er in seinem Bauen, in seinem Gestalten, in seinem Zusammenfügen der unterschiedlichen Zweckdienlichkeiten ausprägt.

Der Theologe ist nicht minder zur Synthese herausgefordert: Er kann gar nicht ewige Wahrheiten in sich, theologische Richtigkeiten in sich sagen, sondern er sagt sie hinein ins Gefüge des Lebens, es ist ihm die Gestalt aufgegeben, die das entzogene Geheimnis und das gegenwärtige Leben und Verstehen zusammenführt. Er ist aber auch nicht nur der Verwalter von zweckdienlichen oder brauchbaren Antworten, sondern in diesen der Hüter des Mysteriums, dessen Überschuß und Unverletzlichkeit im Wißbaren und Brauchbaren gewahrt werden, ja zur Gegenwart gerinnen, Ausdruck finden muß.

Οἰκονομία legt sowohl der Architektur wie der Theologie eine Fährte: Es geht in beiden um den Zusammenhang zwischen Geheimnis und Geschichte, Geschichte und Geheimnis. Nüchternheit und Erfülltsein, Kenntnis und Weisheit fordern einander gegenseitig. Daß das Wort, das bei Gott, in jenem Anfang wohnt, der Raum und Zeit entzogen ist, sein Zelt unter uns aufgeschlagen (vgl. Joh 1,14), sein Haus unter uns gebaut hat, das ist der Grundgang der οἰκονομία, jenes liebenden Heilswirkens Gottes, das sich selber mitteilt an uns und uns in sich einbezieht. Dieses Wohnungnehmen des Wortes unter uns ist auf je andere Weise die eine und selbe Sache des Theologen, der dieses Geheimnis unserem Denken bewohnbar macht, und des Architekten, der dem Menschen und damit dem Wort selbst das Haus baut, da das Wort in seiner Fleischwerdung sich mit dem Schicksal eines jeden Menschen eins gemacht und so unter uns Wohnung bezogen hat.1


  1. Vgl. die Pastoralkonstitution des II. Vatikanischen Konzils Gaudium et Spes, Nr. 22. ↩︎