Seelsorge als geistliches Tun

Geistliches Tun als Seelsorge

Überblicken wir nochmals knapp den zurückgelegten Weg. Dem anderen helfen, sich in Jesus Christus zu finden. Diese Devise des Papstes erweist Seelsorge als kontemplatives Tun. Denn sie erfordert den gesammelten Hinblick auf Jesus Christus, auf den anderen und auf mich selbst, damit der andere sich in Jesus Christus finden und ich ihm dabei Begleiter und Helfer sein kann. Zwischen Jesus Christus, dem anderen und mir entsteht so aber die Beziehung der Teilhabe und der Gemeinschaft, der participatio und der communio. Participatio und communio bezeichnen eine der Grundweisen, Gottes Heilshandeln in Jesus Christus zu verstehen und zu erschließen. Im Wort Gottes, im Kreuz, im Heiligen Geist legen sich diese formalen Begriffe inhaltlich aus. In Wort, Kreuz und Geist schenkt uns aber Gott nicht nur Anteil an sich selbst und stiftet er nicht nur Gemeinschaft mit sich selbst, sondern er bringt uns auch auf den Weg, wie jene Teilhabe und Gemeinschaft wachsen, um die es in der Seelsorge geht. Lebendige, sich ins Ganze der Kirche hinein Öffnende und in ihm integrierende, zugleich missionarisch geöffnete Zellen und Gruppen sind der Raum, in welchem exemplarisch Wort, Kreuz und Einheit des Geistes zu leben sind. Dieses Leben kann die verschlossenen Randsituationen, an die sich so viele und an die in tieferem Sinne wir uns alle gedrängt finden, aufsprengen und verwandeln. Die Stichworte participatio und communio, die Wege des Lebens aus dem Wort, dem Kreuz und dem Geist beschränken sich aber keineswegs auf Zellen und Gruppen, sondern sind Inhalt und „Methode“ christlichen Lebens für den einzelnen wie für die Gemeinden und die Kirche im ganzen.

In einer solchen Sicht rückt Seelsorge selbst freilich in eine neue Perspektive. Das persönliche geistliche Tun des Seelsorgers, sein seelsorgliches Wirken und das, was es auslösen und bewirken will, haben denselben Inhalt und dieselbe Struktur. Diese drei Pole werden nicht ineinander aufgelöst, aber sie durchdringen und tragen sich gegenseitig, indem sie unter demselben geistlichen Anspruch stehen und aus derselben geistlichen Gabe leben. Der Seelsorger soll aus dem Wort Gottes leben – für andere und mit anderen; dann werden andere dieses Wort mit ihm leben, und er wird vom Leben der anderen sein zu verkündigendes Wort neu „lernen“. Leben aus dem Wort wird sich ausbreiten und das Leben vieler wird sein neues, befreiendes, heilendes und Gemeinschaft stiftendes Wort finden. Der Seelsorger soll aus dem Kreuz leben, soll das Kreuz Jesu im Kreuz derer entdecken, die ihm aufgegeben sind – und so werden sie sich im Kreuz entdecken können und aus solchem Getragensein und Angenommensein andere annehmen und tragen. Der Seelsorger soll aus dem Geist leben, will sagen: er soll aus jener Liebe leben, die sich verschenkt und stets den ersten Schritt macht, und er soll aus dieser Liebe Diener der Einheit sein – und so werden, andere zu lieben anfangen und in diese Einheit aufbrechen, sie mit aufbauen, sie weitertragen, bis alle eins sind.

Sicher, wie Seelsorge in unterschiedlichen Situationen geht, wie sie die Frage und Lage des einzelnen und der unterschiedlichen Gruppen trifft, wie sie es „anzettelt“, von der sogenannten Kerngemeinde an die sogenannten Ränder und von diesen in die Kerngemeinde hineinzuführen, das läßt sich aus solchem Programm nicht einfachhin ableiten – und es soll gar nicht abgeleitet werden. Aber zwei Dinge: Einmal kann es keinen anderen Anfang geben als den, daß der Seelsorger so zu leben anfängt. Und dieses Anfangen mit dem Leben ist schon Seelsorge. Anfang, aus dem heraus alle weiteren Schritte erwachsen. Und zum andern sind diese weiteren Schritte gewiß nur seelsorglich, christlich verantwortbar, wenn sie unter diesem Anspruch des Wortes, des Kreuzes und des Geistes [283] geschehen. Dies ist apodiktisch gesagt. Es soll beileibe nicht heißen, die hier formulierte Perspektive sei die einzig mögliche oder auch die bestmögliche. Aber sofern es überhaupt eine Perspektive ist, in welcher das Evangelium, das Evangelium so, wie die Kirche es versteht, zur Sprache kommt, dann bleibt die apodiktisch gemachte Aussage eben doch zumindest perspektivisch gültig. Und diese Perspektive müßte uns gewiß zu denken geben: Seelsorge bleibt vom Anfang bis zum Ende geistliches Tun, das geistliche Tun ist dasselbe im Leben des Seelsorgers, in seinem Wirken und im Mitwirken und Miterleben derer, denen die Seelsorge gilt. Und schließlich: Geistliches Tun ist, christlich verstanden, nicht nur individuelles Tun, sondern Tun füreinander und miteinander, es tendiert zur „gemeinsamen Kontemplation“ im Leben und als Leben. Dann aber gilt nicht nur, daß Seelsorge geistliches Tun ist, sondern das andere: Geistliches Tun ist Seelsorge.