Glauben – wie geht das?

Gelebter Osterglaube

Die Auferstehung leben, das Ostergeheimnis leben, das heißt zum einen in der neuen Ordnung der Auferstehung leben, das heißt zum anderen mit dem Auferstandenen leben.

In der neuen Ordnung der Auferstehung leben ist nichts anderes als die Einholung jenes neuen Anfangs von Gott her, den die Herrschaft Gottes uns abfordert: Lebe nicht mehr von dir her, sondern von Gott her. Etwas freilich ist neu daran durch Ostern. Wir haben nicht nur eine Anweisung, wie das geht, und haben auch nicht nur ein Vorbild, das wir nachahmen können, Jesus. Wir haben einen, der diesen neuen Anfang in uns und mit uns trägt, weil er uns selber nahe ist, weil er in uns wirkt, weil wir auf ihn in uns und zwischen uns schauen dürfen. Das scheinbar so fremde Bild vom neuen Men- [106] schen, den wir anziehen sollen, erscheint auf einmal naheliegend und hilfreich (vgl. Eph 4,22–24; Kol 3,9–11 und 3,1–17 insgesamt). Es gilt, einfach die Verhaltensmuster liegenzulassen, in die wir von unseren Ängsten und Interessen her hineinzuschlüpfen geneigt sind, und „umzusteigen“ in die Mentalität dessen, der sich bis zum äußersten hingegeben hat und der nun als unser Bruder neben uns, mit uns, in uns lebt. Ihn anziehen als Lebensform: So geschieht jene neue Schöpfung, jenes Neuwerden, von dem das Neue Testament immer wieder spricht (vgl. 1 Kor 5,7f.; Röm 6,4; 2 Kor 5,17; Gal 6,15; Eph 2,15).

Leben in der neuen Ordnung der Auferstehung, das führt von selbst zum anderen, zum Leben mit dem Auferstandenen. Wir werden in einem weiteren Gang unseres Nachdenkens die vielerlei Dimensionen dieses Lebens mit dem Auferstandenen anvisieren. Hier, im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Ostergeheimnis selbst, wollen wir uns auf einen Aspekt konzentrieren. An ihm hängt für die Lebendigkeit und Lebbarkeit des Osterglaubens heute wohl das Entscheidende. Dieser Aspekt heißt: Leben mit dem lebendigen Herrn in unserer Mitte.

„Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen“ (Mt 18,20) – das ist von der Komposition des Evangeliums her kein österliches Wort. Und doch bereitet es jenes Leben der brüderlichen Gemeinde aus der Gemeinschaft mit dem auferstandenen Herrn vor, der es Matthäus im Gesamt seines Evangeliums geht.

Es gibt zu denken, daß das erwähnte Jesuswort bei Matthäus bei den Kirchenvätern, vor allem zur Zeit der Verfolgung und auch im Entstehen geistlicher Gemeinschaften immer wieder herangezogen wurde, daß es aber in den offiziellen Dokumenten der Kirche zwischen dem 5. und 20. Jahrhundert kaum mehr eine Rolle spielte. Einige Heilige und Ordensgründer haben es nochmals bemüht, ansonsten ist es im Gesamtgut der Überlieferung bewahrt und geschätzt, aber nicht eigens ans Licht gehoben worden. Das Zweite Vatikanische Konzil und auch die persönliche Verkündigung von Papst Paul VI. haben hier eine deutliche Wende gebracht, die z. T. [107] begleitet, z. T. vorbereitet wurde durch geistliche Gemeinschaften, die dieses Wort neu in seiner vitalen Bedeutung entdeckten. Darin zeichnet sich eine kirchengeschichtlich bedenkenswerte Entwicklung ab. Die Bedeutung der objektiven, institutionellen Wege und Gestalten des Wirkens und der Gegenwart des Herrn bei seiner Kirche auf der einen Seite und die Pflege der individuellen Haltung und Gesinnung auf der anderen haben in der Geschichte das Besondere des genannten Jesuswortes bei Matthäus etwas in den Schatten gerückt. Heute stehen wir in einer Situation, in welcher nicht nur dieser oder jener Ausdruck des Institutionellen, sondern Institution überhaupt, Objektivität überhaupt in Frage gezogen wird. Zugleich wächst der Druck auf den einzelnen, die Anforderung an ihn in einem solchen Maß, daß er sich durch den Anspruch gelebten Christentums weithin überfordert fühlt. Er braucht Nähe, die sich nicht im Idyll erschöpft, überschaubare Gemeinschaft, die sich nicht in sich selbst verschließt. Er „braucht“ das lebendige Umgehen mit seinem Nächsten als Umgehen mit dem lebendigen Herrn – er braucht den Herrn in der Mitte der in seinem Namen Versammelten. Von hier aus wird er denselben Herrn auch in der Objektivität und Universalität der Kirche und des Institutionellen, das zu ihr gehört, entdecken.

Eine Spiritualität, die beim Herrn in der Mitte der in seinem Namen Versammelten anknüpft, die aber gerade aus diesem Impuls heraus eine „kirchliche“ Spiritualität ist: das ist eine Forderung der gegenwärtigen Stunde.

Zuerst aber und vor allem ist dies eine Forderung des Osterglaubens, der nach Leben drängt. Die Antwort auf die Frage, wie Leben aus dem Osterglauben geht, weist von sich aus in dieselbe Richtung.

Skizzieren wir wiederum eine Folge kleiner, praktischer Schritte, die zum Leben mit dem lebendigen Herrn in unserer Mitte hinführen.

a) Mich darauf einlassen, daß dieser Jesus lebt. Also nicht nur über ihn reflektieren, nicht bloß von ihm für mein Leben Motive, Ratschläge, Energien erwarten, sondern mit ihm leben wollen, mich darauf einstellen, daß er nicht ein Vergangener und nicht eine Idee [108] und nicht ein in einer unzugänglichen Ferne Eingeschlossener ist, sondern der Gegenwärtige.

b) Sein Wort als gegenwärtiges, an mich gerichtetes Wort ernstnehmen. Ich nehme nur den ernst, mit dem ich rede, von dem ich mir etwas sagen lasse. Wenn er lebt, dann sind seine Worte nicht Erinnerungen und nicht Anregungen, sondern Herausforderungen, die Antwort verlangen. Wenn Jesus der Lebendige ist, dann bekommt die Heilige Schrift einen anderen Stellenwert in meinem Leben. Sie ist lebendiges Wort dessen, der lebt, Wort des Lebens als Wort für mein Leben. Es geht nicht anders: ich muß mit seinem Wort Erfahrungen machen.

c) Den und das ernstnehmen, was Jesus selber, der Lebende ernstnimmt. Und er nimmt ernst, wofür er gelebt und gestorben ist – für das lebt er jetzt, in alle Ewigkeit. Das heißt aber: er lebt für den Vater und er lebt für meinen Nächsten. Mit ihm, aus seiner Perspektive, in seinem Ernst, in seinem Gehorsam den Willen des Vaters im gegenwärtigen Augenblick tun wollen, und zugleich bereit sein, den, der neben mir steht, den, der mir begegnet, genauso ernstzunehmen, wie er ihn ernst nahm. Also: das Neue Gebot erhält seine neue Dringlichkeit in der österlichen Situation.

d) Scheinbar nur eine Zwischenbemerkung: Wir wollen zugehen auf Jesus in unserer Mitte, und bis jetzt ist nur von mir die Rede. Ja, deswegen nämlich, weil ich bei mir anfangen muß, weil ich den Nächsten, der mit mir so leben will, daß Jesus in der Mitte sein kann, nicht von mir aus herbeizwingen kann, sondern weil ich nur auf ihn zuleben kann, bis er mir begegnet, bis der Herr ihn mir schickt. Und aus noch einem Grund muß ich allein anfangen, und dies ist das Ende der Zwischenbemerkung: Jesus ist durch den Tod, durch den ganz einsamen und verlassenen Tod hineingegangen ins neue Leben, und das heißt auch: in die österliche Gemeinschaft. Wie Paulus Gemeinschaft mit dem Auferstandenen darin erstrebt, daß er sich prägen läßt durch Jesu Tod, so ist es auch mit uns. Zwischen mir als dem „alten Menschen“ und dem Leben mit dem Auferstandenen in der Mitte liegt Jesu Tod, und dieser sein Tod ist zu sterben je im gegenwärtigen Augenblick, in der Auslieferung an das, [109] worin jetzt mir der Gekreuzigte begegnet. Zugehen kann ich nur auf ihn, Ostern, Auferstehung muß ich mir schenken lassen, je neu schenken lassen, auch wenn es mir schon geschenkt ist.

e) Dann aber: Mut haben, aufeinander zuzugehen und es ausdrücklich zu machen, daß wir mit dem Herrn in unserer Mitte leben wollen. Es wollen, das heißt: er muß uns wichtiger werden als alles andere, sein Leben in unserer Mitte muß uns mehr wert sein als eigene Interessen und Meinungen. Das erfordert genau dieselben Stufen, die wir bislang durchschritten haben, aber nun als Stufen aufeinander zu. Allerdings bin und bleibe ich der erste, der damit anfangen muß, nur jener Weg führt zu ihm, bei dem ich bereit bin, jeweils den ersten Schritt zu tun.

f) Nicht etwas voneinander und miteinander wollen, sondern ihn – und deshalb den Herrn in der Mitte lieber haben als nur „meinen“ Jesus. Es geht nicht um die Bestätigung oder bessere Durchsetzung meiner Ideen, sondern um jenes Verlieren der bloß meinen, indem die seinen besser herauskommen können.

g) Das heißt aber auch: Ihn selber mehr lieben als unseren „Gruppenjesus“. Wir müssen ihn uns schenken lassen von sich her, von seinem Wort her und auch, so schmerzlich dies klingt: von seiner Kirche her. Jesus verlassen um Jesu willen, das ist ein altes Wort in der Spiritualität caritativer Ordensgemeinschaften; wenn Jesus im geringsten Bruder die Hilfe der Krankenschwester braucht, dann darf sie sich nicht auf ihre Gebetspflicht zurückziehen. Dieses Wort wird noch härter, wenn es heißt: „Meinen“, „unseren“ Jesus verlassen um Jesu in der Kirche willen. Genau das war aber der Weg, wie bei allen großen geistlichen Aufbrüchen, bei allen Gemeinschaft stiftenden Charismen in der Kirche der Herr zum Zuge kam.

Wo ein solches Leben mit dem Auferstandenen ansetzt, wo sich ein Netz von vielen lebendigen Zellen bildet, die mitten in der Kirche leben und die sich füreinander und fürs Ganze der Kirche öffnen, da wird der lebendige und allmächtige Herr in unserer Mitte ein anziehender Magnet. Und die Engel können wieder den Ratlosen und Hilflosen, den Zweifelnden und Traurigen zurufen: „Warum sucht ihr den Lebendigen bei den Toten?“ (Lk 24,5).