Gemeinden für Weltreisende

Gemeinde

Viele Menschen in den Generationen über uns nehmen den Abbruch der traditionellen Gemeindeformen als Niedergang wahr. Lange haben sie das kirchliche Leben vor Ort getragen, oft erst mit aufgebaut. Nun sehen sie ihre Kräfte langsam schwinden und keine Chance auf Nachfolger*innen. Für manche fühlt sich das fast an wie ein persönliches Scheitern. Ich verstehe ihre Empfindung, aber schon meine Generation hat andere Erfahrungen mit kirchlichen Gemeinden gemacht. Als ich 17 war, wurde über die ersten Zusammenlegungen von Pfarrgemeinden in meinem Heimatbistum Trier diskutiert. Die Lokalpatrioten schäumten. Bei „denen da drüben“ gehe man ja wohl nicht in die Sonntagsmesse. Meine Freunde und ich, die damals Messdienergruppenstunden und Ferienfahrten organisierten, haben oft nur den Kopf geschüttelt. Wir sind sowieso in der nächstgrößeren Stadt zur Schule gegangen. Dementsprechend haben unsere Freunde auch alle verstreut gewohnt. Wenn sich jetzt nicht mehr alles Kirchliche nur bei uns im Dorf abspielen sollte, wo dann doch immer dieselben Leute auftauchten, dann führte das bei uns höchstens zu Schulterzucken. Trotzdem bewegte sich lange nichts, weil unsere eigenen Eltern in den Räten blockierten, wo es nur ging. Wir haben unser Ding einfach weitergemacht. Wir wussten sowieso, dass es nur noch für zwei bis drei Jahre so sein würde wie jetzt. Denn dann wären Abi und Zivildienst durch und wir erstmal weg.

Wenn ich heute mit Jakob rede, der jetzt 17 ist, dann erzählt er mir ganz selbstverständlich, dass er sich mit 12/13 aus seiner Wohnortgemeinde verabschiedet hat, weil es dort nichts Interessantes mehr für ihn gab. Er hatte das Glück, mit kafarna:um eine Gemeinde zu finden, wo er Gleichaltrige traf. Aber genau wie ich wird er als Mitglied des Leitungsteams in der Jugendkirche mit Strukturfragen überhäuft, soll sich für Gesprächsprozesse anmelden, die in zwei bis drei Jahren zu Ergebnissen führen werden, obwohl ihn das alles subjektiv nicht betrifft. Und Jakob hat keine Ahnung, was in zwei bis drei Jahren sein wird, wo er dann lebt und wie er dann Kirche braucht. Und er maßt sich nicht an, jetzt an strukturellen Entscheidungen mitzuwirken, die ihn dann unter Umständen gar nicht mehr betreffen. Er ist jetzt Mitglied einer Gemeinde, weil genau diese Gemeinde zu ihm passt und ihm Raum für seine Fragen gibt. Er ist ein situatives Gemeindemitglied und kein prinzipielles. Dass das auf keinen Fall bedeutet, dass Jakob nur im Augenblick lebt und sich keine Gedanken über die Zukunft macht, lässt sich vielleicht durch Folgendes verdeutlichen: Gestern Abend hat er mir eine Nachricht geschrieben. Im Flur der Jugendkirche habe er spontan einen großen Bollerwagen deponiert. Den brauchten sie heute bei „Fridays for Future“ in Aachen. Er sei da im Orga-Team und halte auch eine Rede.

So wie Jakob geht es vielen Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Und so geht es auch noch mir und vielen meiner Freunde. Längst nicht jeder von uns – und ich rede hier von denen, die sich als Christin oder Christ bezeichnen – googelt beim Umzug sofort, welche Kirchengemeinden denn da am neuen Wohnort so mit welchem Programm unterwegs sind. Wir schließen uns Gemeinden an, wenn wir das Bedürfnis dazu verspüren. Wenn sie uns in unserer konkreten Lebenssituationen etwas nützen.