Theologie als Nachfolge

Geschichte des Wortes als Weg der Theologie

Doch es geht uns hier nicht primär um Ekklesiologie; es geht uns um den Ansatz von Theologie bei Bonaventura und – im Gespräch mit ihm – vielleicht auch bei uns. Verdichten wir nochmals die erhobene Struktur. Da ist die eigentlich ansetzende, treibende und das Ganze tragende Kraft des Wortes. Dieses Wort ist Ansatz Gottes zu uns, zu seinem Anderen. Es nimmt theologisches Denken mit in seine eigene Stoßrichtung. In diesem Ansatz über sich hinaus ist freilich sein Woraufhin, der Adressat, das „Andere“ mitgesetzt. Wir sahen doch, daß dieses Wort sich nicht einfachhin auf die Andersheit dieses Anderen, sondern auf die Entsprechung dieses Anderen bezieht, die das Andere nirgendwoher sonst als aus dem Wort Gottes haben kann. Auf die Frage, an wen das Wort ergehen müsse, gibt Bonaventura zur Antwort: an die Kirche; was [42] er von der Kirche alsdann ausführt, das betrifft gerade die Präsenz und die Wirksamkeit des Wortes Gottes in ihr, allzu lutherisch gesagt, er spricht von der Kirche als dem Geschöpf des Wortes. Doch indem diese alleinige, alles prägende Wirksamkeit des Wortes Gottes in der Kirche zur Sprache kommt, kommt die Kirche als Berufung, als Auftrag an uns, ja als Vollzug unserer eigenen Ursprünglichkeit zur Sprache. Das Wort, das ergeht, führt sich nicht selber auf, sondern indem es alles wirkt, verschenkt es sich und schenkt darin seinem Anderen, zu sein und frei zu sein, ja Ursprung für das Wort selbst zu sein, der dieses Wort wiedergibt und neu werden läßt. Daher kommt als anderer und die Alleinigkeit des Wortes doch nicht mindernder Partner der Mensch, das Geschöpf, das antwortende Wesen ins Spiel – die Geschichte des Wortes wird zwei-, ja mehrursprünglich; denn der Ursprung der Antwort, die Kirche, ist selber mehrursprünglich. Indem alle in der Kirche vom selben Wort bestimmt werden, werden sie über ihre Jeweiligkeit, über ihre Isoliertheit hinausgehoben zur Einheit, diese Einheit bleibt aber jene der Konsonanz, jene des Zusammenspiels der Vielen und Verschiedenen. Im Spielfeld solcher vertikalen und horizontalen Mehrursprünglichkeit tritt nun das Wort selbst in die Mitte. Es ist das vorgängige Wort, das maßgebliche Wort, das Gesetz. Es ist das eingehende, das verbindende, das Wort in den Anderen und zwischen den Anderen, der Friede. Es ist das Wort „nach“ seiner eigenen Geschichte, das Wort aus dem antwortenden Ursprung, das Wort, das so gerade das Ganze vollendet und steigernd in den Ursprung zurückbindet. Bonaventuras ekklesialer Ansatz erschließt sich als Ansatz reflektierter Nachfolge, allerdings in ihrer integralen Gestalt; denn die Nachfolge versteht sich hier als Wiedergabe und Weitergabe des sie ermöglichenden, einfordernden Wortes, sie versteht sich hier des weiteren als gemeinsame Nachfolge, die ihr einziges Maß am ursprünglichen Ruf nimmt, indem sie Maß nimmt an den anderen, die auf denselben Ruf achten; sie versteht sich hier als in einem gehorsam und normativ – denn der Ruf, dem sie folgt, ist ihr Gesetz; versteht sich als sozial und praktisch – denn ihr Ruf [43] ist der zugleich geschenkte und aufgegebene Friede; sie ist schließlich bekennend und ekstatisch – denn sie ruft das sie eröffnende Wort weiter und zurück als Zeugnis und Lobpreis. Der interpretierte Text erschöpft nicht Bonaventuras Antwort auf die Frage nach dem Ansatz der Theologie. Er bringt zwar die anderen Aspekte zur Synthese, die das Werk Bonaventuras enthält, doch müssen einige von ihnen noch eigens in den folgenden Abschnitten zur Sprache kommen, damit sich die Fülle und Konsistenz in Bonaventuras theologischem Denken zeigen und damit seine Antwort eingebracht werden kann in die mannigfachen Perspektiven heutigen Ringens um den Ansatz von Theologie.