Theologie als Nachfolge

Geschichte des Wortes als Weg von Kirche

Wie wir sein müssen, das aber wird mit dem Wort „Kirche“ benannt, und Kirche wird in den Gegensatz zu „Synagoge“ gerückt,1 wobei Synagoge nicht etwa die jüdische Glaubensgemeinschaft, sondern ein Gegenbild von Kirche meint, das durch konträre Verhaltensweisen zum selben Wort Gottes gekennzeichnet wird.2

Doch nicht nur Synagoge, auch Kirche ist in unserem Kontext mehr als bloß Name für eine Institution. Es kommt Bonaventura selbstverständlich auf diese Institution Kirche an; aber was sie zur Kirche macht, genauer: was sie als Kirche existieren läßt und was sie als Kirche verifiziert, ist ein Vollzug. Kirche als Adressat des Wortes wird bestimmt als „die Einung der Verständigen, die eines Sinnes und in gemeinsamer Prägung leben, indem sie eines Sinnes und in gemeinsamer Prägung achten auf das Gesetz Gottes, einmütig und in gemeinsamer Prägung zusammenhalten im Frieden Gottes und einmütig und in gemeinsamer Prägung übereinstimmen im Lob Gottes. Doch dies ist aufeinander hingeordnet; denn Lob kann nicht sein, wo nicht Friede, und göttlicher Friede kann nicht sein, wo nicht Beobachtung des göttlichen Gesetzes herrscht.“3 Kirche wird also konstituiert durch eine Geschichte, und diese ist Geschichte ihrer Glieder miteinander in der gemeinsamen Geschichte mit dem Wort Gottes, mehr noch: Geschichte des Wortes Gottes selber.

Zeichnen wir diese Geschichte aus ihren inneren Momenten nach, auf die Hinweise Bonaventuras achtend, die freilich mehr Stenogramm als breite Exegese dieses Weges sind.4 Das Wort Gottes tritt in dreifacher Stellung auf: in der Stellung des Gesetzes, des Friedens und des Lobes. In allen drei Stellungen bewirkt dieses Wort ein Verhältnis derer, die ihm folgen, zu ihm und zueinander, und immer ist dieses Verhältnis das der Einmütigkeit (concordia) [39] und der gemeinsamen Prägung aller durch das eine, gemeinsame Prinzip (uniformitas).

Wie kommt das Wort Gottes zu solch dreifacher Stellung, was unterscheidet die drei Stellungen voneinander? Im ersten Fall, als Gesetz, ist das Wort das schlechterdings vor-gängige, es kommt zur Gegebenheit allein von Gott her auf die Menschen zu, wird von seinem Ursprung her das Maßgebliche. Solches Maßgeben wird von Bonaventura freilich nicht als statische Vorhandenheit, sondern als lebendiges Wirken verstanden – er erinnert an die Feuersäule, die mit dem Volk Israel durch die Wüste zieht und an deren Bewegung allen offenbar wurde, ob zu handeln, ob zu ruhen ist; entsprechend solle auch die Kirche in gemeinsamem Hinblick auf das eine Wort Gottes ihre Einheit finden.5

Im zweiten Fall, als Friede, hat das Wort den Ort seines Aufgangs im Zwischen. Indem alle in der Kirche dem Wort folgen, wird es zum Wort in ihnen, wird es zum innerlich sie bewegenden Prinzip, von dem her das Verhältnis des einen zum anderen sich gestaltet. Aus dem Leben der Kirche und derer, die sie sind, geht Gottes Wort auf, und darin geht es als Friede auf. Sie werden füreinander zu jenen, die sich Gottes Wort zu sagen, zu schenken haben. Bonaventura vertieft dies durch den Hinweis auf die zentrale Stellung des neuen Gebotes, der gegenseitigen Liebe (vgl. Joh 13, 34f), in welcher das Gesetz in seine Erfüllung, in seine Steigerung, in seine neue Potenz, eben die des Friedens, gelangt.6 Er findet hier die kühne „Definition“: „Kirche heißt gegenseitige Liebe.“7 Durch eine solche Bestimmung wird all das, was zur Identität der Kirche gehört, in einen einzigen Grundvollzug hinein „aufgehoben“, aufgehoben aber nicht, um es auszulöschen – unser Zitat will gerade den Zusammenhang zwischen Gehorsam und Liebe, zwischen der maßgeblichen und unverfügbaren Kraft des Wortes Gottes aus sich und seiner Kraft in und zwischen uns erhellen.

Dem entspricht es auch, daß Friede in der gegenseitigen Liebe nicht Endstation der genetischen Geschichte von Kirche ist. Im dritten Fall, als Lob, reißt das Wort erneut die „vertikale“ Dimension auf. Sein Ort ist wiederum das Zwischen, aber ein anderes [40] Zwischen: Ursprung des Wortes, aus dem es aufsteigt, ist nun die Kirche, die in diesem Wort den Frieden, die Einheit als ihre Existenzweise gefunden hat; ihre antwortende Spontaneität vollbringt das Wort und bringt es über sich hinaus, zurück ins Herz des ersten Ursprungs. Zwischen Gott und uns steht sein Wort als unser Wort, im Lobpreis, in der Liturgie. Doch indem das Wort seinen Weg in unserer Nachfolge durchläuft, „passiert“ etwas mit ihm: es bringt neue Fülle zu seinem Ursprung zurück. Bonaventura legt Wert darauf, daß der Einklang des göttlichen Lobes nicht Unisono, sondern Harmonie ist, daß die Vielfalt der konsonanten Ursprünge eingeht in die Antwort der Kirche, welche gerade so Liebe ist:8


  1. Vgl. ebd. ↩︎

  2. Vgl. Hexaemeron I, 6–9, wo der Blick nicht zuletzt auf falsche zeitgenössische Ansätze von Philosophie und Theologie gerichtet wird. ↩︎

  3. Hexaemeron I, 2. ↩︎

  4. Zum folgenden vgl. Hexaemeron I, 3–5. ↩︎

  5. Vgl. Hexaemeron I, 3. ↩︎

  6. Vgl. Hexaemeron I, 4. ↩︎

  7. „Ecclesia enim mutuo se diligens est“, Hexaemeron I, 4. ↩︎

  8. Hexaemeron I, 5. ↩︎