Vorspiel zur Theologie

Gestaltungsspiele

a) Interessen- und Gestaltungsfelder

In allem, was wir tun, gestalten wir die Welt. Menschliche Weltgestaltung hat indessen ihre Schwerpunkte. Sie liegen dort, wo Menschen sich einsetzen, in ihrem Beruf und über ihn hinaus, wo sie ihr eigenes Tun zentrieren, was man ihre Leistung, ihren Dienst nennen könnte. Leistungen und Dienste sind so vielfältig, daß es kaum möglich erscheint, eine mehr als äußere und zufällige Einteilung vorzunehmen.

Vielleicht helfen uns da jedoch die Grundspiele weiter. Der Einsatz des Daseins in Leistung und Dienst kommt in Gang durch das Interesse, und zwar einerseits durch das Interesse des einzelnen und andererseits durch das Interesse der Gesellschaft. Jedes spezifische Interesse [126] fordert seinen spezifischen Einsatz. Und in diesem Einsatz geschieht eine spezifische Weise von Kommunikation, in welcher die „Sprache“, der Zusammenhang letztlich die Spielart dieses Einsatzes herausspringt und das jeweilige Gestaltungsspiel konstituiert.

Wohin weisen nun die Interessen des Menschen, Interessen, die ihn so bestimmen, daß er den Einsatz seiner Lebenskraft und Lebenszeit dafür wagt?

Mich interessiert einfach der Mensch. Diese Aussage kann Unterschiedliches bedeuten. Die Begegnung mit dem einzelnen, die Faszination vom Du, Freundschaft und Liebe sind Urinteressen, die zum Menschsein gehören, die keine andere Rechtfertigung brauchen als sich selbst. Interesse am Menschen kann aber auch heißen Interesse daran, dienend, helfend beim Menschen zu sein, wo einer in Not gerät, wo er gefährdet ist, wo er des anderen bedarf. Helfender und heilender Dienst haben hier ihre Wurzel. Interesse am Menschen kann schließlich auch bedeuten Interesse daran, den Menschen zu prägen, ihm Maßstäbe, Werte, Einsichten zu vermitteln, Interesse an der Menschwerdung des Menschen, an seiner Entfaltung. Erziehendes, bildnerisches Tun sind die Gestaltungsformen solchen Interesses.

Ein anderes Interessenfeld ist bezeichnet von der Welt der Sachen. Das Wort Sache ist hier weder einschränkend noch abwertend gemeint. Es zielt auf Welt als Inbegriff der Gegebenheiten, die danach verlangen und dazu einladen, bearbeitet, geformt, gehegt, verwandelt, in den Glanz des Geistes gehoben zu werden. Funktionale Abläufe und Zusammenhänge zu steuern, sich in sie einzuschalten, sie zu steigern, ist die Triebfeder der Technik. Das Messenwollen der eigenen Kraft an anderen Kräften lockt zur Bearbeitung des widerständigen Materials, zur [127] Eroberung und Bezwingung des Unbekannten, des Übermächtigen in der Welt. Die Vorgabe der Möglichkeiten ruft zur Verwandlung, die Schönheit der Gegebenheiten zur Ver-herrlichung – künstlerisches Gestalten als Neuschaffen einer Welt aus dem Material der Welt.

Gesellschaft heißt ein dritter Raum, in den das Interesse des Menschen hineinstößt. Die gegenseitige Abhängigkeit aller von allen, das Dasein füreinander und miteinander nicht einfach dem Zufall zu überlassen, sondern es von innen her zu gestalten, hat seine eigene Anziehung und Notwendigkeit für den Menschen. Das Politische im engeren und im weiteren Sinn, Rechtsetzung und Rechtsprechung, die Planung und Ordnung menschlicher Lebensbereiche wie Wirtschaft, Arbeit, Kultur, sozialer Dienst besiedeln diesen Raum. Er geht nicht auf in den beiden ersten Interessenfeldern, dem Menschen und der Sachwelt. Der Mensch ist Partner, die Sachwelt Medium und Gegenstand des gesellschaftlichen Miteinanders. Den Menschen und die Dinge einzufügen in eine gesellschaftliche Ordnung, die ihrerseits menschen- und sachgerecht ist, dies eröffnet eine eigene Dimension gestalterischen Willens.

b) Das Ineinander von Mensch, Sachwelt und Gesellschaft

Gesellschaftliche, politische Gestaltung macht es offenbar: Die drei Interessen- und Gestaltungsfelder lassen sich unterscheiden, aber nicht trennen. Nicht nur die Politik ist Politik für den Menschen und mit den Sachen. Auch die Sachen sind Sachen für den Menschen, die ihn bestimmen, ihn gestalten, in deren Bearbeitung er sich [128] bestimmt und gestaltet. Und die Sachen kommen uns zu aus dem Zusammenspiel der Gesellschaft, etwa aus Produktion und Handel, und sie haben ihre Rückwirkung auf das Leben der Gesellschaft, die ihrer bedarf, sie verwaltet, von und mit ihnen lebt. Der Mensch, der einzelne, wiederum ist nicht freischwebende Existenz, er ist dieser leibliche, mit sich selber in die Sachwelt eingebundene und über sich hinaus verwiesene, sich selbst aus dem Widerspiel der Gesellschaft empfangende und es prägende.

Die drei Spielfelder des Gestaltens sind so auch drei Dimensionen, die sich in jedem Gestaltungsspiel treffen, wenn auch je eine Dimension die Führung übernimmt.

Nicht nur von dem her, was den Menschen interessiert und was durch ihn gestaltet wird, will das Ineinander dieser drei Dimensionen eingebracht werden. Der gestaltende Mensch selbst muß sie – im Grunde immer – in seinen eigenen Einsatz, in sein gestalterisches Tun investieren. Sein Handeln verantworten verlangt von ihm, sich an drei Fragen zu orientieren: Wo bleibt der Mensch? Wie handle ich sachgerecht, dieser Sache und dem Zusammenhang der Sachen, der Welt gerecht? Welchen Beitrag schulde, leiste oder entziehe ich der Gesellschaft?

c) Rückkoppelung mit den Interpretationsspielen

Wer sich für den Menschen, für die Sachwelt, für die Gesellschaft interessiert, den kann dieses Interesse zu einem unmittelbar gestalterischen Tun, den kann es aber auch zur Interpretation, zur Reflexion, zur Wissenschaft treiben. Die Gestaltungsspiele verlangen selbst nach ich-[129]rer funktionalen Interpretation. Der Zusammenhang aller Gestaltungsspiele, aber auch die Tiefe dessen, worum es in jedem von ihnen geht, treiben zur Philosophie, zur fundamentalen Interpretation. Allen Gestaltungsspielen sind ihre Wissenschaften und sind auch spezifische Dimensionen philosophischen Fragens zugeordnet.

Die Gestaltungsspiele können nicht gelingen, wenn sie nicht vom Menschen gekonnt, das heißt aber zumindest auch: durchschaut, gewußt werden. Und sie können nicht verantwortet werden, können nicht wahrhaft menschliche Gestaltungsspiele sein, wenn der Mensch sich nicht auf sein Tun besinnt, sich über es Rechenschaft gibt. Sozusagen diesseits ihrer ausgearbeiteten Wissenschaft und Philosophie sind jedem Menschen angesichts seines Tuns die Fragen aufgegeben: Wie geht das? Was hat das für einen Sinn?

Diese Fragen erschöpfen sich nicht in ihrer Zuordnung zu den Gestaltungsspielen. Sie zentrieren sich zu einem eigenen Interessenfeld. Ich will einfach wissen, wie es geht. Das formuliert ein Grundinteresse, das höchste und weittragendste Leistungen menschlichen Geistes hervorrief. Diese eine Frage hat freilich ihre beiden Dimensionen, die wir schon kennen, die funktionale und die fundamentale, Wissenschaft und Philosophie.

Sowenig ein Gestaltungsspiel in sich selber schwingt, so wenig darf freilich auch das Interesse an der Interpretation sich auf sich selbst zurückziehen. Verantwortlich geschehen Forschung und Reflexion nur im Kontext der drei Fragen, die sich auch in jedem Gestaltungsspiel stellen. Das bedeutet keinen Entscheid für eine engagierte und gegen eine reine Wissenschaft. Wissenschaft und Philosophie dürfen nie von der Frage absehen: Wie ist es?, um sich für Zwecke, und seien sie noch so edel, in [130] Beschlag nehmen zu lassen. Die Frage in sich einerseits, der Bezug auf Mensch und Gesellschaft andererseits sind indessen gegenseitig aufeinander bezogen. Nur die Wahrheit kann das Maß setzen für Mensch, Welt und Gesellschaft, nicht umgekehrt. Aber ganze Wahrheit ist nicht beziehungslose Wahrheit, sondern Wahrheit des Menschen, der Welt und der Gesellschaft und Wahrheit für Mensch, Welt und Gesellschaft. Wie es kein interesseloses Dasein gibt, so gibt es auch keine interesselose Wahrheit. Wahrheit ist „interessant“ für Menschen, Welt und Gesellschaft, und diese sind „interessant“ für die Wahrheit.

Illustrieren wir kurz, was das nicht heißt und was das heißen kann. Eine Erkenntnis, aus der gefährliche Konsequenzen für den Menschen erfließen können, darf nicht umgebogen werden. Nur erkannter Gefahr kann man begegnen. Gefährliche weil mißverständliche und mißbrauchbare Erkenntnis fordert dazu heraus, Mißverständnissen und Mißbräuchen vorzubeugen, positiv an ihrer Ausschließung zu arbeiten. Auch kann eine Wahrheit, z. B. eine theologische, nicht deshalb abgetan werden, weil sie nicht „anzukommen“ nichts für den vielberufenen „Menschen von heute“abzuwerfen scheint. Ist der Mensch von heute, das Ankommen Kriterium für die Wahrheit – oder fordert nicht vielmehr die Wahrheit das Umdenken und in einem die Suche nach der Übersetzung, die alles wahrt, aber auch alles aufschließt?

In der anderen Richtung: Ein Forscher erkennt, daß sein Projekt ihn überfordert, daß es seine menschliche Substanz in Frage stellt. Es gibt eine Grenze, an welcher er es dann abbrechen muß. Oder: Eine Weltsituation, ein Notstand der Gesellschaft kann es fordern, die Auswahl der wissenschaftlichen Vorhaben nicht allein an der im-[131]manenten Logik der Forschung, sondern auch an der Not zu orientieren, die es zu wenden gilt. Diese Verantwortung kann der Wissenschaft allerdings nicht durch die Gesellschaft abgenommen werden; nur eine freie Wissenschaft, nicht eine gegängelte und kommandierte, kann der Gesellschaft dienen.

Gibt es indessen nicht noch ein fundamentales Interesse, das in der Nähe des letztbedachten liegt und doch qualitativ sich von ihm abhebt, jenes Interesse, das geweckt wird durch den Aufgang des Heiligen, durch den Anspruch und Zuspruch Gottes? Wer Gott, wer seiner Offenbarung glaubt, der wird in ihm den höchsten Maßstab, den absoluten Orientierungspunkt überhaupt erkennen. Alles kann ihm nur sein, was es ist, im Licht Gottes. Wäre es anders, so müßte sein Glaube ihm unglaubwürdig werden. Ein Gott, der allein in einem Sektor des Daseins etwas zu sagen hätte, wäre nicht Gott.

Gleichwohl läßt der Glaube unterschiedliche Konstellationen zwischen dem führenden Interesse an Gott und den anderen Interessen frei. Zum Glauben gehört Sendung, und so kann der Ort meines Gestaltens auch primär in einem welthaften Bereich liegen. Hier bin ich hingestellt, hier richte ich meinen Dienst aus. Doch Grund, Ziel und Maß meines Dienstes setzt mir der Wille Gottes, der Auftrag Gottes. Das entfremdet mich nicht der Eigengesetzlichkeit meines Dienstes. Denn er versteht sich zutiefst als Mit-gang mit der liebenden Bewegung Gottes, der als Schöpfer die Welt an sich freigibt und als Erlöser sich an sie hingibt.

Nicht minder hat die andere Konstellation ihr Recht. Ich bin hineingestellt in die Welt, in ihre Bereiche und Bezüge. Aber ich habe hier zu bezeugen, worauf alles ankommt, wo allein das Heil zu suchen ist. Das kann Ver-[132]zicht auf menschliche Interessen, Abschied von gestalterischen Fähigkeiten und Möglichkeiten heißen. Doch es bedeutet kein Nein zur Welt. Ihr Heil ist es ja, um das es mir geht, wenn es mir um Gott allein geht. Und wenn es mir um ihn allein geht, dann geht es mir um die Liebe, die sich für alle hingegeben hat. Ich werde also meine Fähigkeiten in die radikale Hinkehr zu Gott einbringen, um Zeugnis zu geben. Dieses Zeugnis ist mein Dienst an der Welt. Ein Dienst, dessen sie gerade dann bedarf, wenn funktionale Rücksichten den ganzen Raum des Menschen und alle seine Kräfte zu beanspruchen, so ihn aber um sich selbst und letztlich auch um seine Welt zu bringen drohen. Gott allein – das hat sich immer wieder als Motiv und Kraft bewährt, die den Dienst des Menschen am Menschen, in den Sachbereichen der Welt und in der Gesellschaft nicht erlahmen lassen, gerade dort, wo bloß menschliche Motivation und Kraft am Ende sind.