Unterscheidungen
Glaube als religiöser Akt und als Gemeinschaft mit dem dreieinen Gott*
In der Konstitution christlichen Vollzuges vom Vollzug Jesu her ist zwar der Unterschied des Christlichen gegenüber der Religion im allgemeinen sichtbar geworden; ob aber Christentum Religion sei oder nicht, darüber kann eine Auskunft erst erwartet werden, wenn wir die Konsequenzen im christlichen Glaubensvollzug bedenken. Was verbindet ihn mit dem religiösen Vollzug als solchem, was unterscheidet ihn von diesem?
Ihn verbindet jedenfalls dies: Christlicher Glaube ist Glaube an Gott. Was uns Jesus erschließt, ist der Zutritt zum Vater, ist die Unmittelbarkeit zu ihm. Diese Unmittelbarkeit ist aber Unmittelbarkeit durch Jesus und in seinem Geist, ist Hineingenommensein in die Beziehung Jesu zum Vater. Er macht seine Geschichte mit dem Vater zu der unseren. Man könnte sagen, die „reinste Phänomenologie“ des religiösen Aktes erschließt sich uns im Verhältnis Jesu zum Vater. Und gerade weil Jesu Verhältnis zum Vater von ihm uns zugeeignet wird, ist christlicher Vollzug religiöser Akt.
Aus genau demselben Grund aber ist christlicher Glaubensvollzug auch das schlechthin Andere des religiösen Aktes. Jesus nimmt nämlich jene, die ihm glauben, ganz hinein in seine Geschichte mit dem Vater, nicht nur in sein Gehen zum Vater, sondern auch in sein Ausgehen von ihm. In vermittelnden Schritten gezeigt: Glaube an Gott auf das Zeugnis Jesu hin geschieht als Nachfolge Jesu, als Sich-Einlassen auf seinen Weg. Im menschlichen Weg mit einem Menschen geschieht Gottes Epiphanie. Sie geschieht, sozusagen, in der Horizontalen, in Jesus, mit dem, neben dem ich gehe. Sie läßt sich von mir aber in solchem Mitgehen nicht nur rezipieren; ich kann nicht, an das Zeugnis Jesu glaubend, mich wieder auf mich selbst zurückziehen, um so, wenn auch von Jesus vermittelt, „mein“ Verhältnis zu Gott zu haben. Ich muß mit ihm weitergehen; denn allein dieses Weitergehen mit ihm ist Mitgehen seines Weges zum Vater. Sein Gehen des Weges zum Vater ist aber gerade der [87] Gang zu seiner Hingabe für uns, der Gang der Liebe, die sich gibt. Dieser Gang ist der Gang Gottes selbst, ist sein Aufgang. Jesu epiphanisches Tun ist in einem, in derselben Richtung, Hingehen zum Vater und Ausgehen von ihm, hin zu den Menschen, für die er sich gibt. Dadurch aber vollendet sich Glaube als Liebe. Christlicher Glaube ist nicht nur transzendierende Wegwendung über alles, was ist, über den Raum des Transzendentalen, über das Sein hinaus in die reine unverfügbare Ursprünglichkeit; christlicher Glaube ist auch Mitvollzug der Öffnung des transzendenten Ursprungs in die Transzendentalität, Mitvollzug seiner Zuwendung zur Welt. Er ist durch Jesus und in ihm Teilhabe am epiphanischen Geschehen selbst. Für den Christen ist das Eingehen in die Liebe, wie Jesus geliebt hat, in sein göttlich-menschliches Sich-Geben das Zeugnis, das sich nicht von seinem Glauben trennen läßt, das Zeugnis, das sich aber auch nicht trennen läßt vom epiphanischen Geschehen in Jesus selbst; denn die Glaubenden werden hineingetaucht in Jesu Tod und Auferweckung (vgl. Röm 6,3f.), in seine Hingabe, sie werden so sein Leib, den er darreicht für das Leben der Welt, sie werden die geschehende Kommunion Gottes mit der Welt durch die Kommunion miteinander in der einen Liebe, die sie in die Geschichte Jesu mit dem Vater hineinnimmt, so daß sie eins sind miteinander in ihm wie er mit dem Vater (vgl. Joh 17,21–23).
Dies ist zwar abgelesen an den normativen Bestimmungen christlichen Vollzugs, wie sie uns im Zeugnis des Neuen Testaments begegnen. Und doch handelt es sich um eine phänomenologische Aussage. Im Neuen Testament, zumal in den johanneischen Schriften, spiegelt sich im Wort Christi zugleich auch das Leben der Gemeinde. Sie erfährt, und zwar in der Treue zu Jesu Wort, von ihm her, das „Neue“ christlichen Daseins: Im Anschluß an Jesus ist die Gemeinschaft mit ihm und durch ihn in seinem Geist mit dem Vater erschlossen. Diese Gemeinschaft geschieht aber als Tun der Liebe, die im Glauben erfahren wird, als ihre zeugende Weitergabe in die Welt. Liebe ist nicht mehr nur eine moralische Konsequenz aus dem Glauben, „Mitmenschlichkeit“ ist nicht, wie sonst wohl in Spätzeiten von Religionen, eine substitutive Hilfskonstruktion für erster- [88] bendes oder ermangelndes Verhältnis der Unmittelbarkeit zu Gott; Liebe ist vielmehr die Fülle und Offenbarkeit dieses Verhältnisses (vgl. 1 Joh 4,7–11). Was den Menschen über sich hinausreißt ins ihm entzogene Geheimnis, reißt ihn zugleich mit in die Öffnung dieses Geheimnisses, in seine Mitteilung an die Welt. Damit aber ist der Kontrast zur „bloßen“ Religion in der Gewähr von Religion als Wesenszug des Christlichen dargestellt.