Christus nachgehen

Glaube als Weg - zusammenfassendes Modell

a) Die Dimensionen des Weges. – Der Weg, von dem wir sprechen, wenn wir von Glauben sprechen, hat immer gleichzeitig drei Dimensionen. Sie dürfen nie voneinander getrennt werden. Einmal und zuerst ist es nicht unser Weg, sondern der Weg Gottes zu uns. Er kommt, er fängt an – und diese Initiative ist das Tragende und Eröffnende. Dies ist der Hintergrund auch fürs Verständnis der unverfügbaren Wahrheit (Dogma) und des unverfügbaren Gebotes (Norm) und der unverfügbaren Institutionalität von Kirche, Sakrament, Amt.

Mit dieser ersten Dimension ist immer die zweite verbunden: Der Weg ist für uns eröffnet, damit wir ihn gehen können, damit wir etwas „anfangen“. [42] Dogma, Gebot, Institution sind angelegt auf die konkrete Nachfolge, auf den von mir zu tuenden Schritt. Er ist gerade nicht der Schritt, den ich von mir aus kann, sondern der Schritt ins Unmögliche, „aufs Wasser“ (vgl. Mt 14,29ff.). Der radikalste „Fall“: der Schritt Jesu in das Todesdunkel am Kreuz. Diese zweite Dimension des Weges bedeutet aber: Es geht nie an, bloß zu verkündigen, sondern es muß immer auch vorgemacht werden und mitgemacht werden, wie es geht. Verkündigung in Vollmacht bedarf auf Schritt und Tritt der Einlösung durch Zeugnis der eigenen Glaubenserfahrung.

Die dritte Dimension: Genauso radikal, wie der Weg Gottes auf uns zu gleichzeitig unser Weg auf ihn zu ist, ist der Weg der Nachfolge auch immer Weg zueinander und miteinander. Wen Jesus ruft, den ruft er zu seinen anderen Jüngern. Wen Jesus ruft, den ruft er in seine Liebe, die sich den anderen, allen schenkt. Im Ansatz ist daher mit Verkündigung und Zeugnis immer zugleich Gemeinschaft verbunden. Diese Gemeinschaft hat es aber an sich, gerade nicht in der einzelnen und kleinen Gruppe zu enden, sondern über sie hinauszuführen. Die Gleichzeitigkeit, die gegenseitige Einschließung von Botschaft, Nachfolge und Gemeinschaft, ist der springende Punkt dieses Modells. Der Weg zueinander hat nicht nur die Richtung nach innen, zur Mitte, die Richtung der Sammlung, sondern er hat auch die umgekehrte [43] Richtung, jene der Sendung. Der communio muß die missio entsprechen. Der Herr hat sich seiner Kirche anvertraut. Er lebt in ihr durch seinen Geist, aber sie muß jetzt, ihr Miteinander muß jetzt den Weg des Herrn von sich weg, hin zu den anderen mittragen, aus seinem Geiste tun. Kirche ist Volk Gottes unterwegs, nicht nur, weil sie noch nicht am Ende angekommen ist, sondern weil sie zu allen Völkern und Jahrhunderten hin unterwegs ist. Gerade deshalb braucht sie die „institutionelle“ Rückbindung an ihn durch Amt, Dogma und Sakrament.

b) Der Anfang des Weges: Den Dimensionen des Weges entspricht auch der Anfang: es ist ein Anfang an drei Stellen, von drei Seiten zugleich. Zwar hat immer Gott den ersten Schritt auf uns zu getan – aber wir können es nur entdecken, wenn wir den ersten Schritt tun. Die Einführung in dieses Wagnis durch das Mitgehen ist der Weg, um aufzudecken, daß da ein Weg ist, der trägt, ein Weg, den einer schon gebaut hat auf mich zu. Und dieser Schritt auf Gott zu muß sich immer auch bewähren als Schritt auf den Nächsten zu. Darin, in diesem grundlosen Anfangen und grundlosen Je-neu-Anfangen mit dem Nächsten, erkenne ich, daß schon Gemeinschaft ist, daß ich mich schon eingliedere, daß die Kirche, die ich vom Nullpunkt an „baue“, schon gebaut ist und ich mich als Stein in sie einfüge.

[44] c) Die Dynamik des Weges führt von mir weg und so, nur so, auf mich zu. Nicht zuerst sich haben, um nachher sich zu geben, sondern sich geben und im Geben entdecken, daß man sich hat: dies ist die paradoxe Weise des Weges, der Gott selbst ist, des Weges, der die Liebe ist, die als erstes schenkt und nur im Schenken sich hat (dreifaltiges Leben!). Hier ist der tiefste Grund des christlichen „Ärgernisses“, und an ihm, nicht an der Institution als solcher, wird die letzte Entscheidung jeweils fallen.

d) Verdeutlichende Konsequenzen: In diesem Modell des Weges geht es darum, alles zu verkünden, was zur Botschaft des Glaubens und der Kirche gehört. Aber alles muß als Wegschritt Gottes auf uns zu, als Weg seiner Liebe, verdeutlicht werden. Das ist nicht eine einlinige Ableitung des ganzen Inhaltes des Evangeliums aus einem einzigen abstrakten Prinzip, sondern es ist das Mitgehen des Ganges Gottes, der auf unableitbare und unerforschliche Weise in ungezählten Richtungen und Äußerungen uns dieses eine, sich selber, seine Liebe, seine Nähe offenbart. Auch und gerade die harten und fordernden Seiten des Evangeliums gewinnen so Kontur und Ernst. Eine solche Verkündigung ist freilich auch ihrerseits auf den Ernst der Praxis und die geschehende Kommunikation angewiesen. Nur wer seine eigene Wegerfahrung einbringt und sie mit anderen austauscht, [45] wird solche Verkündigung vermögen – und in ihr werden jene, denen sie gilt, unversehens selber zu ihren Mitträgern, selber in ihre Aktivität und Spontanität hineingenommen. Gerade so kann im Vollzug die doppelte Reserve der Jugend gegen Christentum und Kirche, die Reserve gegen die Institution und gegen die Überforderung der eigenen Freiheit, aufgearbeitet werden.