Glauben an Gott

Glauben an Gott aus der Perspektive des Glaubens

Die menschliche Perspektive auf den Glauben schlägt, sofern sie den Glauben als solchen im Blick hat, in dessen eigene Perspektive um. Perspektive des Glaubens, das ist Perspektive Gottes auf den Menschen als Perspektive des Menschen auf Gott. Es gilt nun, aus dieser Perspektive noch einmal im Grunde dasselbe, das schon Gesagte zu sagen, nunmehr aber unter der Voraussetzung dessen, daß Gott selbst sich in Jesus eröffnet, mitgeteilt hat. Wir fragen aus dieser Perspektive nach dem Grund, nach dem Ereignis und nach dem Inhalt des Glaubens.

3.1 Glaube ist Sich-Geben des Menschen an Gott, Sich-Verlassen des Menschen auf Gott. Grund für solches Sich-Geben und Sich-Verlassen, Grund für solche Schwerpunktverlagerung des Menschen in Gott hinein ist Gottes Sich-Geben an den Menschen, Gottes Sich-Verlassen zum Menschen hin, Gottes Schwerpunktverlagerung in den Menschen hinein. Das ist im Sinn eines einmaligen und konstitutiven Ereignisses, es ist zugleich aber auch im [41] Sinn einer konkreten Jeweiligkeit zu verstehen – ein Unterschied, der freilich nur von der Seite des Menschen getroffen werden kann.

Glaube ist nur möglich, weil Gott sich offenbart hat. Sich-Offenbaren heißt aber: seine jeder Gestalt entzogene, jeder Faßbarkeit überlegene, in keiner Aussage einzuholende Ursprünglichkeit faßt sich, gibt sich, liefert sich aus in ein geschichtlich konkretes Ereignis hinein. Offenbarung ist das Paradox Gottes, in dem er doch als Gott gerade aufgeht. Offenbarung ist die Selbstunterbietung des Absoluten, ist die Zumutung, die er sich selber zumutet: hier und jetzt, so und nicht anders, in bestimmter Gestalt aufzugehen. Diese „Verendlichung“ Gottes aber ist gerade seine Unbedingtheit, sein Aufgehen aus sich selbst, seine radikale Ursprünglichkeit: Gott ist einer, der sich gibt, Gott ist einer, der sich schenkt; biblisch gesprochen: Gott ist der Gott des Bundes, ja Gott ist Liebe (vgl. 1 Joh 4, 8 und 16), Liebe im Sinn von Agape, von Sich-Entäußern, von grundlosem Sich-Verschenken. Das wird dort am radikalsten, ja, recht verstanden: es wird dort überhaupt erst sichtbar und geschichtlich-wirklich, wo Gott sich aus seiner Offenbarung, aus seiner Mitteilung in keiner Weise mehr draußen läßt, sondern wo er sich als sich selbst ausliefert in die Kommunion mit dem Menschen hinein. Diese Kommunion Gottes mit dem Menschen, in der Gott „sich aufgibt“, so aber gerade als Gott bewährt, ist die Hingabe des Sohnes für das Leben der Welt, ist seine Inkarnation und seine Passion. Gegen alle „Gott-ist-tot-Theologie“ muß gesagt werden: Gott geht als Gott in Jesu Tod nicht unter, sondern auf, Gott als der andere, als der transzendente, hält sich gerade dort durch, geht gerade dort auf, wo er sich gibt.

Das Organ, das Gottes Sich-Geben anzunehmen und wahrzunehmen vermag, ist auf der Seite des Menschen freilich: menschliches Sich-Geben, und zwar jenes menschliche Sich-Geben, in dem der Mensch sich selber, sein eigenes Dasein ausliefert. Der Unteilbarkeit göttlichen Sich-Gebens kann nur die Unteilbarkeit menschlichen Sich-Gebens entsprechen, nur menschliches Ganz- [42] sein und Dasein ist Organ für den ganzen Gott, der sich in seinem ganzen Dasein gibt.

Daß aber der Mensch sich geben kann, muß dem Menschen gegeben sein. Das Sich-Geben Gottes, das den Glauben trägt, ist nicht nur das Faktum der Offenbarung, die einmal stattgefunden hat, das endgültige und verbindliche Sich-gegeben-Haben Gottes in Jesus Christus; in dieser Selbstgabe Gottes ist je der einzelne, bin jeweils ich gemeint, bin jeweils ich „abgeholt“, wo und wie ich bin, bin jeweils ich hineingenommen in die Bewegung Gottes, seines Sich-Schenkens hinein. Erst sein Geist in mir, erst jener eine Geist, in dem Jesus sich dem Vater gegeben und in dem der Vater den Sohn uns gegeben hat, läßt Gottes Sich-Geben bei mir ankommen und mich an Gottes Sich-Geben mich ausliefern. In der Tat, „der Berg“, den es im Glauben zu tragen gilt, muß mir die Kraft geben, ihn zu tragen – aber weil es die Kraft des Gottes ist, der gibt, daß es mich gibt, und der sich selbst mir gibt, ist solche Gnade, die den Glauben trägt, nicht ein äußerer Zusatz, der mich befremdet, sondern jenes, was inwendiger als mein Innerstes sich mir zueignet und mich mir zueignet.

In der klassischen Sprache der Theologie ausgedrückt: Nicht menschliche Glaubwürdigkeitsgründe stellen den Glauben her, Glaubensgrund ist vielmehr die Autorität des sich offenbarenden Gottes, Glaube selbst ist Gnade, „eingegossene Tugend“.

3.2 Glaube ist – so läßt sich jetzt präzisierend sagen – Sich-Geben des Menschen an Gottes Sich-Geben auf dem Grund und in der Kraft dieses göttlichen Sich-Gebens. Das Ereignis des Glaubens ist die „Gleichzeitigkeit“ göttlichen Sich-Gebens und menschlichen Sich-Gebens an Gott in der bleibenden Vorzeitigkeit des göttlichen Sich-Gebens. Daß Gott sich schenkt, ist der Anfang, ist der einzige Grund des Glaubens. Und doch muß ich anfangen zu glauben. Glaube läßt zwei scheinbar widersprüchliche, im Grund aber stets zugleich gegebene, ineinander enthaltene Gestalten seines Geschehens zu: mitunter erfährt sich Glaube als das Anfangen des Menschen, als sein Sprung im Dunkel, als seine „grundlose“ Treue, als Weg vom Nullpunkt aus. Mitunter zeigt [43] sich Glaube aber auch als jene Überwältigung vom handelnden, führenden, geleitenden Gott, als jene unbegreiflich in sich stehende Klarheit, die zwar unendlich anders ist als die Klarheiten des menschlich Selbstverständlichen und die doch fraglos, wie von selbst, trägt. Glaube als Anfangen des Menschen – Glaube als Mitgehen mit Gottes vorgängigem, einbegreifenden Anfang: beides gehört wesenhaft zum Glauben hinzu. Wenn ich glaube, so geht mir auf, daß Gott zu mir unterwegs war, daß Gott mich gemeint hat, daß Gott seinen Weg auf mich zu gegangen ist, Gott war „immer schon“ da. Daß aber Gott schon da ist, daß Gott schon führt, daß Gott schon Liebe ist, wird erst deutlich, wenn eben Glaube geschieht. Und Glaube ist der Einsprung in den Anfang von oben, in den Anfang, den der Mensch nicht machen kann.

Gerade das Johannesevangelium weist immer wieder darauf hin: Nur dann spricht das Zeugnis, wenn ich mich ihm öffne, nur dann ist Gottes Handeln stringent, wenn ich mich ihm anvertraut habe, wenn ich mich von ihm habe „ziehen lassen“ (vgl. Joh 6, 44; 7, 17).

Der Anfang des Glaubens bei Gott allein und durch Gott allein, der nichtsdestoweniger die radikale Totalität eigenen Anfangens des Glaubenden mit einschließt, dies ist das Ereignis des Glaubens. Es kann von außen nicht konstruiert, es kann nur bezeugt, es kann aber zugleich auch in seiner Konsonanz mit der menschlichen Existenz als einer solchen dargetan werden. Nicht ein Ausgehen von unten, nicht eine Analyse dieser Existenz bringt zu diesem Glauben hin; wohl aber holt die Analyse des Glaubens, besser die auf seine Struktur hin reflektierte Bezeugung des Glaubens menschliches Dasein ein. Auch der Anfang von Existenz, das Ereignis von Freiheit, das geschehende Verstehen, die liebende Beziehung zwischen Menschen sind grundsätzlich von der Art, daß sie sich nicht von außen konstruieren lassen, sondern ihren Grund in der Konsonanz der Ursprünge, in ihrem Ereignis entbergen. Glaube ist der radikale und totale „Fall“ menschlichen Daseins, der sich in dieses hinein und in dem Gott sich in dieses hinein auslegt.

[44] 3.3 Was aber ist der Inhalt dieses Glaubens, in dem der Mensch sich in Gott, in Gottes Zuneigung an ihn hinein verläßt? Damit Glaube Glaube an Gott sei, müssen ihm – und das ist seine aktuelle Inhaltlichkeit, die der dogmatischen nichts vorgreift und die doch von der dogmatischen ausgelegt wird – drei Momente eignen: Deo deum credere – deo me credere – deo omnia credere (Gott Gott glauben – Gott mich glauben – Gott alles glauben).

Gott Gott glauben: Wenn ich zu einem Menschen, den ich von außen, den ich nur aus dem gesellschaftlichen Umgang her kannte, in eine direkte Beziehung trete, so gehen zwar meine Vor-kenntnisse und Vor-urteile über ihn mit ein, doch die Beziehung ist nur dann sich selber gemäß, das Gespräch gelingt nur dann im Ernst, wenn ich den anderen von sich, von seinem Wort her, von seinem Sich-Geben her zu verstehen bereit bin, wenn sein Aufgang aus sich selbst für mich das Recht hat, meine vorgefaßten Meinungen und Beobachtungen zu relativieren. Der Glaube (Entsprechendes läßt sich für Theologie sagen) ist „voraussetzungslose“ Erkenntnis, will sagen: er läßt als Glaube keine andere Voraussetzung gelten als die des von sich her sich mitteilenden, des sprechenden Gottes. Daß Gott ist und daß Gott Gott ist, geht im Glauben nicht mehr als Prämisse von außen mit ein, sondern geht aus dem Glauben als solchem auf.

Gott mich glauben: die radikale „Voraussetzungslosigkeit“ des Glaubens schließt mit ein, daß ich auch mich selbst nicht in meinem Verständnis, in meiner Selbsterfahrung, in meinen eigenen Erwartungen festhalte, sondern bereit bin, mich mir zukommen zu lassen aus dem Wort dessen, der gibt, daß es mich gibt, und der mich nimmt, wie es mich gibt. Diese Voraussetzungslosigkeit des Glaubens, die weder duldet, daß Gott die Verlängerung eines allgemeinen anthropologischen Ansatzes ist, noch duldet, daß er das Supplement, die Erfüllung oder der Lücken-büßer meiner eigenen Konstitution ist, verlangt indessen von mir nicht nur, daß ich mich aufgebe, um mich von Gott und aus seiner Sicht neu zu empfangen; sie verlangt auch, daß ich mich als den von Gott Angesprochenen und Angenommenen selbst annehme, wie ich bin. Sich-annehmen-Können und Sich-verlassen-Können sind im [45] Glauben eines und dasselbe. Ich darf zugleich sein, der ich bin, und werde mir doch erst als der, der ich bin, offenbar durch Gottes sich und mich mir schenkendes Wort.

Gott alles glauben: Nur dann glaube ich einem anderen wirklich, wenn ich ihm „alles“ glaube; nur dann hat mein Mich-Verlassen auf ihn keine Grenze, wenn sie in nichts eine Grenze hat, will sagen: in nichts, was er mir sagt, gibt, zumutet. Dieses „alles“, was der Glaube glauben muß, um Glaube zu sein, ist im Fall Gottes in doppeltem Sinne alles: einmal eben alles, was er sagt, zum andern aber alles, was ist.

Glauben, was Gott sagt, das bedeutet eine restlose Offenheit, von Gott her Eigenverständnis, Horizonte, Erwartens- und Verhaltensmuster durchkreuzen zu lassen; es bedeutet darin aber gerade auch den Überstieg eines sich im Satzhaften erschöpfenden Fürwahrhaltens von Inhalten. Gewiß, ohne Satzhaftes, ohne Aussage blieben Anspruch und Zusage unverbindlich, das Ärgernis der endlichen Aussage gehört zum Ernst des Glaubens hinzu. Doch der Sinn der Aussage und der Stellenwert der Aussage werden gerade dadurch deutlich, daß sie auf das eine und umgreifende Sich-Sagen und Sich-Schenken Gottes hin gelesen und von ihm her verstanden werden.

Wenn aber Gott Gott ist, dann ist auch alles, was ist, alles, was mir begegnet, alles, was zur Welt gehört, von ihm her und ist darum auf ihn hin zu lesen. Und wenn dieser Gott sich selbst uns schenkt, dann ist sein Sich-Schenken in Jesus Christus in der Tat das hermeneutische Prinzip für das Verständnis der ganzen Welt. Gerade weil Glaube aber alles allein in die Hand Gottes gibt und aus ihr empfängt, gerade weil wir im Glauben Christi sind, der Gottes ist, gilt auch der andere Teil derselben Aussage des Apostels: „Alles ist euer“ (1 Kor 3, 21-23). Glaube an Gott führt zur Kommunion mit der Welt.