Neuer Ansatz in Sicht?

Gott im Denken der Neuzeit

Und wo bleibt Gott? Die Neuzeit ist nicht gottlose Zeit. Aber das neuzeitliche Denken weist Gott einen anderen Platz zu als das Denken zuvor. Ein Grundsatz neuzeitlicher Wissenschaft wird es, die Dinge nur in sich selbst zu betrachten, d. h. sie so anzusehen, wie sie sind, „auch wenn es Gott nicht gäbe.“1 Der Mensch will ja nicht mehr von Gott ausgehen, sondern von sich selbst. Er leugnet damit nicht schon Gott, aber Gott steht nur als Vorzeichen vor der Klammer, innerhalb welcher der Mensch denkt, forscht, handelt. Unmittelbar hat Gott mit dem Leben des Menschen wenig zu tun. So zumindest in der Sichtweise neuzeitlicher Wissenschaft, die mit dem Herrschendwerden der Technik auch mehr und mehr zur Sehweise des allgemeinen Bewußtseins wird. Viele große Denker der Neuzeit brauchen freilich noch Gott für ihr Denksystem, Gott wird zu dem, der das menschliche Ich und seine Welt trägt und hält. Aber dieser Gott wird eben „gebraucht“, er interessiert nicht mehr so sehr um seiner selbst willen, sondern um dessentwillen, was er für den Menschen und sein Denken leistet. Das Bild Gottes wird nicht selten aus der Perspektive des Menschen und seiner Freiheit entworfen. Gott wird zum Ziel und Idealbild jener menschlichen Freiheit, die alles vermögen will, die sich selbst genügen will, die sich selbst vollenden will. Und unversehens wächst daraus der Verdacht, dieser Gott sei nichts anderes [28] als die Projektion der menschlichen Wünsche. Und je mehr der Mensch mit seiner eigenen Freiheit vermag, je mehr er glaubt, sich selbst und die Welt ganz im Griff zu haben, desto weniger braucht er noch diesen Gott – er wird uninteressant, er wird entbehrlich.


  1. (Anm. d. Bearb.) „Etiam si Deus non daretur“ – Grotius, Hugo: De iure Belli ac Pacis, Prolegomena, 11. ↩︎