Gott und das Denken nach Schellings Spätphilosophie
Gott in der Selbstvermittlung des Denkens
Wenn sich in Schellings Spätphilosophie auch innerlich die Selbstreflexion und Selbstthematisierung des Denkens vollbringt, so läuft die voraufgehend nachgezeichnete „äußere“ Hinsicht, die einfach um Gottes willen nach Gott fragt, breit und durchgängig in ihren Texten mit.
Reißen wir nun von der Selbstthematisierung des Denkens her die „Architektur“ des Gedankens auf, der zu Gott führt.
Das Denken kann in seinem objektivierenden Setzen sich als Ursprünglichkeit nicht vor sich bringen. Wie kommt es dennoch zu ihr? Es weiß doch je schon um sie, sonst könnte ihm die Unmöglichkeit seiner Selbstthematisierung gar nicht aufgehen. Es weiß um sie aus seiner „Betroffenheit“: als „betroffen“ kommt es zur Gegebenheit für sich. Wovon ist es betroffen, was bringt es zu sich selbst? Es ging von sich aus, setzte seinen Inhalt aus sich heraus, um ihn und darin sich zu gewinnen und kam gerade so nicht zu sich als Ursprung. Was und ruft es nun, so daß es als angegangen, gemeint, im Vernehmen des Angangs und Rufes sich selbst als Ursprung vernimmt und also vollbringt?
Das es Betreffende, das es Umkehrende, zur Ekstase Bringende ist das absolute Daß, das schlechthin Undenkliche, von dem her es ausgeht, je schon ausgegangen ist. Dieses das Denken erst gebende, [313] ihm vorgängige, so seine eigene unthematisierbare Ursprünglichkeit überholende und damit zu sich bringende absolute Daß gibt das Denken sich aber erst, indem das Denken wiederum sich ihm gibt, indem es dieses Daß lichtet. Seine bisherige, der Umkehrung durchs absolute Daß vorlaufende Tätigkeit war die Auslegung seiner selbst ins Sein. Sie erlangte sich nicht. Sie legt aber in der Tat das Denken aus, wenn es in ihr das absolute Daß auslegt, zum „Betreffenden“ zum Ein- und Zufall des absoluten Daß wird, zur Vorstelligkeit des Wesens und der Möglichkeit des absoluten Daß für dieses. In diesem Ein- und Zufall geht das absolute Daß als die zu ihrem Anderen freie Freiheit auf und geht sich das Denken als das Zweite, Entsprungene, aber sich in seinem Ursprung in Gott Bergende und Besitzende auf.
Was diesem Denken entgeht, das sich selbst in der Voraussetzung und Lichtung Gottes vollendet, beschäftigte unser Mitdenken immer wieder: der Gott, den es einerseits „braucht“ und anderseits erst „lichtet“, ist nicht der göttliche Gott, dieser kann erst aufgehen, wo sich das Denken von ihm mit sich beschenken läßt, ohne sich ihm als Bedingung wieder aufzuerlegen, wo es aufhört, das Denken zu sein, und unaufhebbar Andenken seines Zudenkens bleibt. Gleichwohl sagt der aufgerissene Gedanke der Selbstvermittlung des Denkens durch Gott dem Denken etwas: Es findet sich als Denken nur in der Wegwendung von sich, in der Betroffenheit, welche Beziehung aufgreift und stiftet.
Die Wegwendung des Denkens von sich selbst dorthin, wo der göttliche Gott ihm aufgehen kann, ist nicht Untreue des Denkens zu sich selbst, sondern sein Sich-Vollenden. Dieses selbst ist freilich ihm gerade vorenthalten, solcher Vorenthalt bezeichnet gerade seine äußerste Offenheit und höchste „Fähigkeit“ für die Wahrheit.
„Apriorisch“ mag solche Offenheit im Verdacht stehen, auf Gott nur als Selbstprojektion, als Selbstvoraussetzung zu blicken. Gerade dieser Verdacht wächst aber aus der Sorge, Wahrheit in ihrem voraufgehend-richtenden Angang des Denkens zu verfehlen. So bestätigt er die Offenheit, die Gewärtigkeit für den Aufgang der Wahrheit, bestätigt er die Stellung der Verantwortung, also der Antwort auf mögliche Anrede als die Grundstellung des Denkens, auf daß es Denken sei.