Gott und das Denken nach Schellings Spätphilosophie
Gottes Freiheit von und zu seinem eigenen Sein und Wesen
In solcher Freiheit von und zu seinem Anderen bestätigt sich auch die Freiheit Gottes von seinem unvordenklichen Actus und von [254] seinem im Seienden, in den Potenzen ihm notwendig zukommenden Wesen.
Freiheit von seinem unvordenklichen Actus: Gott braucht nicht darauf zu bestehen, alleinig zu sein, um alleinig zu sein. Nicht daran, daß nichts Anderes ist, hängt seine Alleinigkeit, diese ruht in sich selbst, darin, daß er sich nicht genommen werden kann und sich selbst gehörig und als sich gehörig sich gelichtet bleibt, auch wenn und indem Anderes ist: sein Sein als actus purus ruht in seinem Wesen, actus purus zu sein, das ihm nicht bloß mögliches, sondern wirkliches Wesen ist; der unvordenkliche Actus ist immer schon ausgelegt ins Ansich-, Fürsich- und Beisichsein und nicht trennbar von diesem.
Die Dialektik des „doppelten Wesens“ nimmt sich zurück: das Gott zu-fällige Wesen, die Potenzen sind nur die Lichtung des Actus, des Daß als seines ihm selbigen Wesens; sie zeigen an, daß er aus sich selbst, als Aufgang aus sich das ist, was sie vorstellen, daß er überseiend das Seiende, daß er das absolute Daß nicht als Selbstgegebenheit, sondern als Selbstursprünglichkeit, als absolute Freiheit ist.
Und so ist seine Freiheit von sich als bloßem Actus eben auch Freiheit von seinem ihm zufälligen Wesen: er ist ja nicht nur das im „Seienden“ implizierte und so aus dessen Möglichkeit selbst geforderte – somit aber doch je nur mögliche – wirkliche Prinzip, sondern er ist einfach, aber sein „Ist“ und „Daß“ bringen sich von sich her in das hinein vor, was das Seiende, was die Potenzen von ihm aussagen, als was sie ihn aussagen.
Schelling denkt so von zwei Anfängen aus, von denen jeder den anderen impliziert und zugleich negiert, die reine Anfänglichkeit Gottes:
1) Er denkt vom Actus aus, von seiner Unvordenklichkeit her auf die Möglichkeit, auf das Wesen schlechthin als das zu, was dieser Actus ist und worin er mehr als bloßer Actus ist. In diesem Gedanken aber ist sowohl der bloße Actus in die natura necessaria als auch die Nachträglichkeit des Wesens als Prädikates in die reine Freiheit als das dieses Prädikat tragende und sich selbst in ihm aussagende Prinzip hinein überwunden.
2) Er denkt vom Denken selbst, von seinem Inhalt, der reinen [255] Möglichkeit aus und legt in ihr als dem universalen Prädikat das absolute Prinzip frei, legt es aber so frei, daß es in diesem Gedanken als vorgängig und aus sich und nicht vom Prädikat her das ist, was das Prädikat und also das Denken sagt; so aber ist nicht nur das vom Denken dem absoluten Daß Vorgeschriebene in die Vorgängigkeit des Daß hinein zurückgebunden, sondern ist auch das absolute Daß als solches seiner bloß faktischen Vorgängigkeit zum Denken überhoben und geht auf als reine Freiheit.
Es darf auffallen, daß Schelling in beiden Anfängen seines Denkens je für sich einen „pantheistischen“ Zug entdeckt, den er im Weiterdenken dieses jeweiligen Anfangs auf den anderen zu überwunden sieht zum Begriff des freien und von seinem Anderen, als seiner mächtig, unterschiedenen Gottes.
Der von ihm als „pantheistisch“ bezeichnete Charakter des Seienden im reinen Denken hat uns schon beschäftigt1. Die Figur des Seienden ist in ihrer figürlichen Einheit doppeldeutig: Verweis auf das viele, was sein kann und auf das eine Prinzip. Beider Sein ist „mit Gleichmöglichkeit“ darin gesetzt, Gott und Welt sind ins selbe Was zusammengegriffen und müssen durch die Auseinandersetzung ihres sie zusammengreifenden Begriffes in der negativen Philosophie in ihre Beziehentlichkeit entwirrt werden, die dann die positive Philosophie, im Denken der Welt von Gott her, als die Möglichkeit einer Setzung seiner Freiheit begreift.
Aber auch die starre Ewigkeit des abstrakt gesetzten absoluten Daß ist als ununterschiedene Alleinigkeit, als einzig und alles, „pantheistisch“2 ist etwas wie spinozistische Allsubstanz, bevor sie in ihre Auslegung zur natura necessaria und in die Lichtung dieses Seins als natura necessaria durch den Einfall der Möglichkeit des Anderen übersetzt ist; nur in der Auslegung durchs Denken, nur in der Klärung des Was geht die Freiheit und also die Beziehung, die Unterscheidung auf, die im bloßen Daß so verborgen ist, wie sie im bloßen Denken, in der bloßen Idee verborgen blieb, ehe das unvordenkliche Daß ihr zuvorgedacht und sie von ihm her zu denken war.