Der Mensch als Thema der Kirche und der Kunst

Gottes Freude am Anderen*

Fragen wir doch: Wie kommt denn Gott auf die Idee, so etwas zu schaffen wie einen Menschen? Wie kommt Gott überhaupt darauf, etwas zu schaffen? Er hat offenbar Freude am „Anderen“, Freude an dem, was nicht sein muß. Denn so sagt es uns die Theologie, daß Gott nicht schaffen muß; daß Gott nicht, um Gott zu sein, etwas anderes braucht in der Ebene des reinen Bedürfnisses; sondern in Gott muß etwas leben, was einfach sich verströmt, was einfach Möglichkeiten ausschöpft. Er tendiert von sich her hin zu etwas, was einfach ist, [5] etwas was er nicht braucht, aber sein lassen kann und sein läßt. Und in dieser Lust an seinem „Anderen“ kommt er darauf, den Menschen haben zu wollen. Er denkt sich das Geschöpf aus, das wir sind. Und warum denkt er es sich aus? Was kann gerade ihn dabei anziehen? Warum nicht nur Vögel, warum nicht nur Sterne, warum nicht Wesen, die ihm nicht so viele Scherereien bereiten, weil sie Wahlfreiheit nicht haben und so auch nicht mißbrauchen können, sondern ganz einfach „ablaufen“? Warum dieser Mensch mit all den Querelen, die er dem lieben Gott macht?

Gott hat Lust an sich selbst in seinem Anderen. Er kann eigentlich an nichts anderem Lust haben, und dies nicht im Sinne eines Narzißmus, der nur sich genießen möchte, der nur mit sich selber spielen möchte: sondern er möchte dieses Andere ernst nehmen. Und deswegen, weil er dieses Andere erst nehmen möchte, muß es sein wie er, von seiner Art. Daß er auf der Ebene, in der er Gott ist, mit dem Anderen zu tun hat, also mit ihm reden kann, ihn in Anspruch nehmen, ihn fragen, ihn fordern, mit ihm ein „Schicksal“ haben kann, deswegen schafft er diesen Menschen. Gott sucht sich im Anderen und er tut es, weil er dieses Andere, diese rätselhafte Andersheit von Schöpfung, dieses Nicht-Göttliche ernst nimmt. Gott sucht sich selbst im Anderen, deswegen erschafft er den Menschen.

Und zugleich können wir dieselbe Realität in einer ganz anderen Richtung lesen; wir können sagen, wenn Gott Anderes sein läßt, dann möchte er, daß dieses Andere sich steigert, seine Andersheit aufzehrt und emporwächst zu ihm, ihm ähnlich wird, ihm Bild wird, ihn wiedergibt, ihn widerspiegelt. Gott möchte nicht nur irgendetwas werken, er möchte nicht nur irgendetwas sein lassen, das es dann gibt, und es anschauen; sondern er möchte, daß dieses Andere sich selbst annehme und emporwachse zu ihm. Er sucht sich im Anderen, er setzt sich in dieses Andere hinein, er bläst seinen Lebensodem (fern Menschen, den er geformt hat, in die Nase, und er läßt so dieses Andere sich emporentwickeln und emporwachsen bis zu dem Punkt, daß es sein Bild ist. Gott sucht sich im Anderen, und Gott steigert das Andere, bis daß er selber herauskönnt – sein Bild.

Das wäre eine erste Antwort darauf, warum Gott Lust hat, den Menschen zu er-schaffen. Aber gehen wir dem noch etwas genauer nach. Wir haben es jetzt so-zusagen in der Vertikalen gelesen: diese Lust Gottes am Menschen in seinem Verhältnis zu sich und dem, was ganz anders ist als er. Er hat aber auch diesen Menschen hineingesetzt in eine Welt. Der Mensch ist ein Stück Welt; und er möchte in einem Stück das Ganze sehen. Er sucht ein Stück, in dem alles enthalten ist. Nicht, daß das Andere dadurch überflüssig wird; aber daß dieses Andere zusammenkommt, da der Geist und da der Stoff und da das Leben und da das Sensitive und da die Weite und da der Raum und da die Zeit und da das Herz und sein Pochen ־und da die Angst und das Blut und die Gedanken und die Poesie und alles, was es geben kann – er will, daß das zusammenkommt. Er möchte das Ganze in einem Stück, er möchte ein Weltstück haben, in dem er die ganze Welt im Einzelnen sieht. Er möchte, daß da eine Scherbe, ein Stück, ein Fragment so in sich Einzelnes bleibe, daß es ein Ganzes wird, weil er ein Wesen ist, das nicht nur zusammengezählt werden muß mit allem anderen, sondern sich selber zählen kann, für sich selber erwachen kann, sich selber annehmen kann, selber Eines und ein Ganzes ist. Gott will, daß das Ganze im Einzelnen sei. So hat er nicht nur Lust an seinem Verhältnis zum Anderen, sondern er hat auch Lust daran, daß diese Welt sich konzentriere und verdichte in einem lebendigen Ganzen. Das wäre die zweite Antwort.

[6] Aber fragen wir noch ein drittes Mal, was denn Gott sich gedacht hat, als er den Menschen schuf. Ich meine, daß es vielleicht der kühnste und gefährlichste Gedanke Gottes war, daß er hier etwas wollte, das nicht nur ihm erwacht, sondern zu sich selbst. Etwas, das selber seinem Schöpfer gegenüber frei ist. Erst darin spiegelt sich Gott ganz, daß da ein Wesen ist, das frei ist, das „ja“ sagen kann und „nein“, „du“ und „ich“, das sich geben und sich zurückziehen, also frei sein kann. Diese Freiheit, dieses Sich-an-sich-nehmen, diese Selbstbehauptung als Möglichkeit, gefährlichste Möglichkeit, höchste Möglichkeit, ist Freigabe eines Werkes an sich selbst. Das freigegebene Werk ist nun nicht mehr ein Tonband oder Spiegel, sondern lebendiges Bild, das sich von sich aus und von innen aus bewegt; und darin sich auch auf Anderes zubewegt, sich selbst überschreitet, selbst gestaltend wird, selber in Beziehung tritt zu Anderem, selbst Anderem seinen Prägestempel aufdrückt und selber ins Gespräch tritt, mit Anderem hört und sieht und „ich“ und „du“ sagt und sich fügt in ein „wir“, in eine Horizontale der Freiheit. So ähnlich muß sich Gott es doch gedacht haben, denn sonst hätte er es nicht so eingerichtet.

Aber was bedeutet diese Aussage? Können wir denn so gut Bescheid wissen, was sich Gott gedacht hat? Können wir so über ihn verfügen, so über ihn reden? Wir spüren, wie unangemessen es ist. Aber können wir es anders als so tun? Es gibt uns als Gemeinte und Gewollte und Freigelassene und Gerufene und in Beziehung zu ihm Gesetze, als an uns Freigegebene und in die Welt Hineingestellte. Es gibt uns, weil es Gott gibt, und weil er will, daß wir sind.